Moden entstanden, wie heute auch, meist in den Ballungszentren, genauer gesagt: Im Umfeld der Fürstenhöfe, die zugleich Handelszentren waren. Es gab keine Massenmedien, die die Moden in kürzester Zeit zum Verbraucher hätten tragen können. Zeitschriften gab es durchaus, aber bis zum Ende des 18. Jh. befaßte sich in Deutschland keine mit Mode und sie alle waren nur an die gebildeten Schichten gerichtet. Die Ausbreitung neuer Moden war also auf drei Medien angewiesen: eigenen Augenschein, Hörensagen und Artefakte.
In einer stark geschichteten Gesellschaft ohne Massenmedien muß sich Mode notwendig mit Hilfe der Oberschicht ausbreiten, da nur diese durch Briefe, Reisen oder versandte Waren weiträumige Kommunikation pflegte. Dafür mußte man nämlich entweder das Geld haben, zu reisen, oder schreiben und lesen können, und zwar in der Lingua Franca jener Zeit: Französisch. Ich benutze hier absichtlich den Begriff "Oberschicht" statt "Adel", denn auch wohlhabende Bürger, vor allem aber Kaufleute hatten diese weiträumigen Beziehungen. Ein Handwerker hingegen, selbst wenn er lesen und schreiben konnte, hätte gar nicht gewußt, wie er mit anderen in Kontakt hätte treten sollen: Er hätte erst einmal den Namen und die Adresse eines Kollegen anderenorts wissen müssen.
Die Ausbreitungswege neuer Moden folgten diesen Schienen: Händlernetze, Reisende (z.B. Casanova) und persönliche Briefe (wie z.B. von Liselotte von der Pfalz an Kurfürstin Sophie von Hannover) übermittelten die Informationen und die Waren selbst von Paris in die anderen Hauptstädte, von dort weiter in die kleineren Städte und so fort. In Paris, in den Hauptstädten und in jeder kleineren Stadt sah der Stadtbürger die jeweils neuesten Moden an den promenierenden Reichen oder fertigte sie mit eigenen Händen für selbige, übernahm einen Teil und gab damit vor der Vorstadt-Verwandtschaft an. Wer immer geschäftlich mit der Oberschicht zu tun hatte (höhere Beamte, Händler in Sachen Luxusgüter etc.) gehörte zu den ersten, die mit neuen Moden in Berührung kamen und konnte sich die Nachahmung derselben auch am ehesten leisten.
Wer auf dem Land lebte und fast jede wache Minute darauf verwenden mußte, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, überlegte es sich gut, ob er mehrere Stunden Fußmarsch in die nächste Stadt auf sich nahm. Stadtbürger auch die der unteren Schichten waren folglich modisch eher auf dem laufenden als Landvolk.
Dieser Mechanismus der Ausbreitung von Mode führte schließlich zur Trickle-Down-Theorie, die glaubte, daß Mode vom oberen Ende der Gesellschaft allmählich heruntertröpfelt, weil jede Schicht die nächsthöhere nachahmt, indem sie hofft, auf diese Weise im Ansehen zu steigen. Dabei war doch nur die nächsthöhere Schicht die einzige, die die nötigen Kontakte hatte, um für neue Impulse zu sorgen.
Zwar sind diverse Kleiderordnungen überliefert, aber man darf nicht den Fehler begehen, zu glauben, daß Angehörige irgendeiner Klasse nur die Kleidung trugen, die ihnen laut Kleiderordnung erlaubt war ganz im Gegenteil. Kleiderordnungen wurden vor allem dann erlassen, wenn wohlhabende Bürgerliche sich Kleidung aneigneten, die sich bis dato nur der Adel leisten konnte, was den auf Abgrenzung bedachten Adel ärgerte. Wenn also z.B. eine Kleiderordnung bürgerlichen Frauen das Tragen goldbestickter Hauben verbietet, dann bedeutet das nicht etwa, daß diese nur Leinenhauben trugen, sondern im Gegenteil, daß ein signifikanter Teil der bürgerlichen Frauen goldbestickte Hauben trug, denn sonst hätte man es nicht verbieten müssen.
Viele Kleiderordnungen versuchten sich dadurch zu rechtfertigen, daß sie die Bürger vor dem sozialen Druck bewahrten, der sie dazu trieb, übermäßig teure Kleider anzuschaffen. Das ist sicher nicht ganz falsch, da im 18. Jh. ein patrimoniales Klima herrschte, d.h. der Fürst fühlte sich im Idealfall als gütiger Vater seiner Untertanen und wollte sie in dieser Eigenschaft vor Unglück (also z.B. vor Überschuldung durch Statuskonsum) bewahren. Man kann sich trotzdem fragen, ob da nicht eine Lobby von um ihre Statussymbole besorgten Adligen die Finger im Spiel hatte.
Halten wir also fest, daß das Bürgertum Modeimpulse ebenso gern aufnahm wie jede andere Schicht, aber wegen der langen Kommunikationswege mit einem Zeitversatz von bis zu 30 Jahren, und daß es sich von Kleiderordnungen nicht schrecken ließ. Das einzige, was die Bürgerinnen und Bürger von der Verwendung von Seidenbrokat und Silberspitze abhielt, war der Preis, und den konnten sich wohlhabende Bürgerliche ebenso leicht leisten wie Adlige. Es ist ein weitverbreitetes Klischee, daß Adlige immer reich waren und Bürgerliche mehr oder minder arm, aber in Wirklichkeit hatte manch ein Adliger weitaus weniger Geld zur Verfügung als ein wohlhabender Bürger*. Zwischen der Kleidung des Adels und des reichen Bürgertums gab es also keine Unterschiede außer den finanziellen. Der oberste Adel, also herrschende Fürsten, ist dabei außen vor.
Das gehobene und mittlere Bürgertum leistete sich eher Hausangestellte als prächtige Kleidung, weil Arbeit relativ billig war, Textilien hingegen relativ teuer, also genau andersherum als heute. Das läßt sich sehr schön im Roman "Moll Flanders" (1724) von Daniel Defoe nachvollziehen, in dem die Protagonistin immer wieder ihr Vermögen resümiert, wobei auch ein paar Meter Leinen berücksichtigt werden, die heutzutags keiner Erwähnung wert wären.
Weil Textilien so teuer waren und weil der Modewandel einige Zeit brauchte, um sich auszubreiten, ist die vorherrschende Kleidung des mittleren und unteren Bürgertums deutlich anders als die der Reichen. Die Unterschiede bestehen vor allem in drei Dimensionen:
Unterkleidung und Zuschnitt sind ansonsten im Grunde gleich.
*) Casanova erwähnt in seinen Memoiren eine adlige Familie, die in einem halbverfallenen Schloß wohnt und sich ohne seine (der bürgerlich war) Hilfe nicht einmal einen Besuch im nahegelegenen Mailand hätte leisten können.