Sonnenschirme
Datieren, kaufen, restaurieren

 

Neben Schuhen gehört der Sonnenschirm zu den am schwierigsten zu beschaffenden Accessoires für eine historische Darstellung - und zu den am schwierigsten zu recherchierenden. Man kann natürlich einen Schirm im Antiquitätenhandel erstehen - sofern man einen findet. Aber ist er auch der richtige für die dargestellte Zeit? Schirme in gutem Zustand kosten ein Heidengeld, denn sie sind äußerst selten. Sollte man so ein kostbares Stück wirklich benutzen und damit den Gefahren des Alltags aussetzen? Das muß jede/r selbst be- und verantworten. Die Alternative, einen modernen, nachgemachten Schirm zu benutzen, ist auch nicht der Hit: Die Schirme sind meistens billigstes Plastikzeugs mit ebenso billiger und meist überflüssiger Plastikspitze daran.

Im Folgenden will ich einige Hinweise geben, welcher Schirm zu welcher Epoche paßt, wie man kaputte Schirme restaurieren kann, und wie man für Erstatz sorgen kann, falls antike Schirme außerhalb der finanziellen Reichweite liegen.

Geschichte

Sonnenschirm des frühen 17. Jh. Wenn man in der Geschichte ganz weit zurückgeht, trifft man z.B. in Altägypten auf Baldachine, die durchaus als Vorfahren des Sonnenschirms gelten können. Aber eigentlich stellt man sich da etwas zusammenklappbares vor (naja, ich zumindest), ähnlich den heutigen Regenschirmen. Klappbare Sonnenschirme, die der heutigen Form entsprechen, gibt es mindestens seit dem mittleren 17. Jahrhundert (Bild rechts). Die grundlegende Technik hat sich seither nicht verändert - was die Datierung weiter erschwert. Ursprünglich bestanden die Streben aus Holz, ab dem 18. Jh. auch aus Fischbein und ab ca. 1830 - 1840 aus Metall. Stiellänge, Zahl der Streben und Durchmesser variierten je nach Modeströmung stark. Um 1800 herum z.B. sieht man auf Modekupfern Schirme, die kaum größer als ein Taschentuch waren und nur vier Streben hatten, aber der Stiel war schätzungsweise 80 cm lang. Zum Teil konnten diese Schirme anscheinend auch im oberen Viertel seitwärts abgeknickt werden, ähnlich wie heutige Strand-Sonnenschirme. Das alles kennen wir aber nur von einzelnen zeitgenössischen Modekupfern; erhaltene Exemplare, die beweisen, daß das alles nicht nur der Phantasie des Illustrators entsprang, gibt es meines Wissens nicht.

Bis um 1800 und z.T. noch danach scheint grün die Standardfarbe für den Bezug gewesen zu sein. Warum, weiß man nicht - vielleicht, weil Grün die Komplementärfarbe zu Rot ist, so daß ein grünlicher Schatten selbst ein gesund rotbäckiges Gesicht modisch blaß erscheinen läßt. Man sollte meinen, daß bei Sonnenschirmen helle Farben vorherrschend waren, aber dunkle Farben und vor allem Schwarz waren im 19. Jh. sehr häufig.

Regenschirme? Ich las mal, der erste Regenschirm habe in den 1790ern (1796 oder 97, glaube ich) in London für Furore gesorgt. Nun, er war entweder der erste in London, oder der erste, der von einem Mann getragen wurde - aber der erste Regenschirm überhaupt war es nicht. In einem Buch (ich weiß leider nicht mehr, in welchem) fand ich eine Werbeanzeige für "Parapluies et Parasols" (Regen- und Sonnenschirme) aus dem sehr frühen 18. Jh. Besonderer Clou: Das Gestell war faltbar, ähnlich heutigen Knirpsen.

Datierung und Einkauf

Es ist recht schwierig, Schirme zu datieren, denn 1. sind vor allem von den frühen Exemplaren nicht allzuviele erhalten, 2. gibt es kaum Literatur zum Thema, und 3. war die Variationsbreite recht groß. Ein paar grobe Anhaltspunkte:

Streben

Die Streben der allerfrühesten Schirme waren aus Holz, aber bei denen, die man normalerweise im Handel findet, gibt es nur zwei Möglichkeiten: Holz oder Fischbein. Fischbein ist die frühere Variante, vom 18. Jh. bis ins mittlere 19. Jh. Kurz vor Mitte des 19. Jh. kommen Metallstreben auf, zuerst mit rundem Querschnitt, später (ab ca. 1860) U-förmig. Die normale Stebenzahl ist 8, aber es gab immer auch Abweichungen. Aus dem Empire gibt es Abbildungen von Schirmen mit gerade mal vier Streben, aber das dürfte eine Seltenheit gewesen sein. Schirme mit mehr als 8 Streben sind tendenziell eher später, z.B. 12 Steben um 1915.

Stiellänge und Durchmesser

Im (späten) 18. Jh. haben Schirme offenbar eine ähnliche Größe und ähnliche Proportionen wie heutige Regenschirme - allerdings kenne ich nur sehr wenige (unter 10) erhaltene und datierbare (!) Stücke. In Modekupfern um 1800-1810 sieht man zu Teil sehr zarte, langstielige Schirme mit sehr kleinen Dächern, kaum größer als ein Taschentuch. Auf Mitte des 19. Jh. zu werden die Schirme sehr zart, mit dünnen Stielen von ca. 70-90 cm Länge und relativ kleinen Dächern mit Durchmessern zwischen 50 und 60 cm. Gegen Ende des Jahrhunderts werden die Stiele länger (80-100 cm) und die Dächer größer, aber es bleibt dabei, daß der Durchmesser des Schirmdachs kleiner ist als die Länge des Stiels. Ab ca. 1880 werden Schirmdächer in der Relation zur Stiellänge größer; die normale Stiellänge tendiert immer mehr gegen 90-100 cm. Um 1915 erreicht der Sonnenschirm mit 110-120 cm (etwa Brusthöhe) sein Maximum. Ebenfalls um 1910-15 herum sind Schirme mit besonders vielen Streben (meist 12) beliebt.

Erratum: In einer früheren Version dieser Seite hieß es, das Boston Museum of Fine Arts habe einen auf ca. 1720 datierten Schirm, dessen Proportionen Schirmen aus dem frühen/mittleren 19. Jh. gleichen. Inzwischen besagt die Website des Museums dazu: "Said to have been made from 'Hannah Emerson’s Wedding Dress, about 1720.'" (Inventarnummer 50.3131) D.h. der Bezugsstoff ist womöglich von ca. 1720 (das Muster paßt dazu), aber der Schirm an sich ist nicht datiert. Dem 19. Jh. ist absolut zuzutrauen, ein gut 100 Jahre altes Hochzeitskleid so zu kannibalisieren.

Besonderheiten

Zwei Besonderheiten sind besonders hervorzuheben: Knicker und Pagoden. Ein Knicker ist ein Schirm, dessen Stiel ein Gelenk hat, das es erlaubt, die Länge zu halbieren. Um den Schirm zu benutzen, schiebt man eine Metallhülse über des Gelenk, die es gerade hält. Pagodenschirme haben über der Stelle, wo die Streben am Stiel befestigt sind, eine Metallfeder, die die Spitze des Schirmdachs weiter nach oben schiebt.

Knicker gab es von ca. 1800 bis in die 1870er, wobei um 1840-60 die hohe Zeit der Knicker ist. Pagodenschirme sind ausgesprochen selten. Sie sind bereits recht früh im 18. Jh. auf Abbildungen zu finden, werden im mittleren 19. Jh. eher rar und tauchen danach auch nur vereinzelt auf.

Lange Fransen am Rand und ausgezäckte Volants sind für das mittlere 19. Jh. typisch; davor und später bevorzugte man eher schlichte Bespannungen. Schwarze Chantilly-Spitze über cremefarbenem Stoff waren um die Mitte des 19. Jh. beliebt, während die Bändchenspitze, die man heute gern für "typisch Biedermeier" hält, erst ganz am Ende des 19. Jh. in Mode kam. Auf Ravelry wurde einmal ein Schirm gepostet, der mit gestrickter Spitze aus einer besonderen Faser (Ackerwinde? auf jeden Fall etwas ungewöhnliches) bespannt war.

Bewertung

Beim Einkauf ist das Wichtigste, daß das Gestell unversehrt ist:

  1. Sind die Streben gerade? Achte darauf, daß die Biegung gleichmäßig ist. Wenn irgendwo ein auch noch so leichter Knick ist, deutet das darauf hin, daß die Strebe mal abgeknickt war und geradegebogen wurde. Bei den U-förmigen Metallstreben werden sich in diesem Fall auf beiden Seiten kleine Buckel im Metall zeigen, auch wenn sie wieder geradegebogen wurden. Einmal geknickt, wird die Strebe an derselben Stelle sehr leicht wieder knicken und nach dem xten mal geradebiegen ganz abbrechen.
  2. Sind die Gelenke an den Speichen OK? Das betrifft die Mittelgelenke und die ganz oben, wo die Speichen am Stiel befestigt sind.
  3. Sind die Spitzen der Streben alle dran? An den Spitzen befinden sich die Löcher, an denen der Bezug befestigt wird. Fehlt eines der Löcher, weil die Spitze fehlt, dann kann der Bezug nicht wieder befestigt werden.
  4. Sind die Stopper vorhanden und funktionstüchtig? Die Stopper sind jene Metallbügel, in die der Schieber einrastet, um den Schirm geschlossen bzw. offen zu halten. Der Schirm sollte, wenn man ihn geschlossen hat, geschlossen bleiben, und wenn man ihn geöffnet hat, geöffnet bleiben. Überhaupt sollte sich der Schirm vollständig öffnen lassen - einzig der mürbe Stoff kann Dich daran hindern, und wenn das der Fall ist, dann betrachte den Stoff als verloren, selbst wenn er, ohne Spannung, unversehrt erscheint. Hindert dich der Händler daran, den Schirm zu öffnen, dann gehe bei der Preisverhandlung davon aus, daß der Stoff hin ist.

Sind die obigen vier Punkte erfüllt, ist der Rest nicht so tragisch. Den Bezug und Griff kann man ersetzen, und mit etwas handwerklichem Geschick auch Punkt 3 und 4 reparieren bzw. umgehen. Für einen gut erhaltenen (incl. Stoff!) Schirm aus der Zeit um 1880-1910 würde ich je nach Griff (Silber und Elfenbein erhöhen den Preis) bis zu 40 Euro hinlegen. Ist der Stoff zerschlissen, aber das Gestell picobello, bis zu 25 Euro - je nach Gestell und Griff. Ist der Stoff ganz weg bzw. kein Segment mehr vollständig vorhanden, wird das Restaurieren schwieriger, also max. 20 Euro. Fehlt eine Strebenspitze oder ein Stopper, während der Stoff OK ist, vielleicht 15 Euro. Dabei kann der Preis durch einen besonders schön geschnitzten Griff, einen Silber- oder Elfenbeingriff, Auszier mit handgemachter Spitze etc. deutlich steigen. Bei einem völlig gut erhaltenen Stück mit Spitzenbezug und/oder besonderem Griff auf bis zu 150 Euro, aber dann sollte wirklich Schluß sein. Ist der Schirm älter als 1880, z.B. mit Fischbein-Gestell, gilt das Vorige mit einem Aufpreis von etwa 20-30 Euro (für Schirme um 1850) oder 40-50 Euro (bei Fischbeistreben).

Restaurierung

Seit ich in einem Schirm Zeichen früherer Besiedelung und in einem anderen, unter der Metallkappe an der Spitze, einen noch lebenden Bewohner fand, bin ich der Überzeugung, daß man einen kaputten Bezug so bald als möglich abnehmen und den Schirm bis dahin nicht in der Wohnung lagern sollte...

Wenn das Gestell unbeschädigt ist und vom Bezug zumindest ein Segment vollständig erhalten, dann ist das Restaurieren relativ einfach: Der Stoff ist der am leichtesten ersetzbare Teil eines Schirmes - für jemanden, der nähen kann. Sind die Speichen beschädigt - geknickt, gebrochen, Gelenke kaputt - sollte man das restaurieren Spezialisten überlassen, denn eine geknickte Speiche muß vollständig ersetzt werden und ein Gelenk zu reparieren ist auch nicht leicht. Aber Achtung: Nicht alle Schirmreparaturen können mit historischen Schirmen etwas anfangen. So hat eine Freundin nun statt eines äußerst seltenen (sprich: teuren) Pagodenschirms einen ganz normalen, weil der Restaurator mit der Pagoden-Feder nichts anzufangen wußte. Wenn es ein wirklich ungewöhnliches historisches Stück ist - ein Pagodenschirm, Knicker oder Fischbeingestell - dann sollte man es nur jemandem überlassen, der wirklich Ahnung hat, und zwar von historischen Schirmen, nicht nur von modernen. Das kann teuer werden, und deshalb würde ich alles außer kaputten Speichen selber zu machen versuchen. Wenn ich einen neuen Bezug nähe und dabei Mist baue, ist schlimmstenfalls der Preis für den Stoff weg, und dann kann man immer noch einen Profi aufsuchen. Hat Dir der Profi einen Schirm versaut, so wie meiner Freundin, finde Dich nicht damit ab! Laß sie so lange ausbessern, bis es richtig ist. Darauf hast Du als Auftraggeber Anspruch.

Ist das Gestell bestens erhalten, aber der Bezug kaputt, dann mach einen neuen Bezug. Spanne zuerst den Schirm voll auf und prüfe, wieviel Spannung auf dem Stoff ist. Wieviel Widerstand spürst Du beim Spannen? Fangen vorhandene Löcher an, noch weiter aufzureißen? Wenn der Bezug sehr beschädigt ist, wird die Spannung natürlich geringer sein, weil die Risse einfach so nachgeben. Wie weit die Risse aufklaffen, gibt auch einen Hinweis darauf, wie groß die Spannung gewesen wäre. Wenn der Stoff sehr mürbe ist, gehe es vorsichtig an. Zeigt sich auch nur der kleinste Riß im letzten erhaltenen Segment, brich den Versuch ab. Aber solange wenigstens ein Segment erhalten bleibt, macht es nichts, wenn bei diesem Versuch der restliche Stoff noch mehr kaputtgeht, denn hin ist der Bezug ja sowieso. Hauptsache, Du kriegst ein Gefühl für die Spannung. Behalte es gut im Gedächtnis.

Das gleiche gilt übrigens für die Dinge, die Du beim Auseinandernehmen findest: Sind die Gelenke abgedeckt, wie ist die Abdeckung befestigt, wo und wie ist der Bezug am Gestell angenäht? Merke Dir alls das.

Die Spitze wird oft von einer Metallkappe gehalten, die mit einem Nagel am Stiel befestigt ist. Zieh den Nagel vorsichtig heraus, ohne die Kappe oder den Stiel zu beschädigen, und heb Kappe und Nagel gut auf. Nimm den Bezug vorsichtig ab (nicht feste ziehen!) und trenne das am besten erhaltene Segment direkt an der Naht ab. Dafür eine Nagelschere zu nehmen, ist nicht übertrieben. Nimm von dem erhaltenen Stoffsegment einen Schnitt ab, und zwar so exakt wie möglich. Dabei gibt es einiges zu beachten...

Kurze Begriffsklärung vorneweg: Das Segment ist ein gleichschenkeliges Dreieck. Die Spitze ist da, wo das Segment am Schirmstiel anliegt. Gegenüber ist die Basislinie bzw. Basiskante, also die kürzeste Kante, die von Speichenspitze zu Speichenspitze verläuft und den unteren Rand des Schirms bildet. Die Längskanten sind jene, wo das Segment an die benachbarten Segmente angenäht ist - sie verlaufen entlang der Speichen. Von der Spitze zur Mitte der Basiskante verläuft die Mittellinie und der Fadenlauf.

Oft ist die Basislinie etwas gebogen. Das kann von der jahrzehntelangen Spanung kommen (d.h. die Längskante hat sich mit der Zeit gedehnt) oder auch gewollt sein. Schau mal die Basiskante genau an: Liegen die Fäden parallel dazu? Wenn ja, liegt es an der Dehnung, wenn nein, ist es gewollt. In jedem Fall liegt es an Dir, ob Du eher gerade oder gebogene Basiskanten haben willst, d.h. ob du die Kante begradigst oder nicht. Aber wie Du sie begradigst, hängt davon ab, ob die Biegung durch die Spannung entstanden ist und wie groß die Spannung bei Deinem Test war.

Ist die Biegung durch Dehnung entstanden, dann war das Segment ursprünglich wirklich ein gleichschenkeliges Dreieck mit lauter geraden Kanten, aber die Längskanten haben sich gedehnt. Siehe Skizze: Die gestrichelten Linien zeigen die Form, die durch Dehnung entstanden ist, die durchgehenden die ursprüngliche. Damit ist die Mitte des Segments (also da, wo der Scheitel der Biegung liegt) das Maß dafür, wie lang die Längskante ursprünglich war. Um die Basiskante zu begradigen, mußt Du also vom Scheitelpunkt geradeaus gehen - in der Skizze ist das die Linie, die mit "ursprünglicher Fadenlauf" beschriftet ist. Für Geometriker: Eine Tangente an die Biegung der Basiskante im rechten Winkel zur Mittellinie.

War beim anfänglichen Test die Spannung groß, dann würde ich beim Begradigen der Basiskante vorsichtig sein, also z.B. eine leichte Biegung schneiden, auch wenn die Kante ursprünglich mal gerade war. Denn wenn selbst mit gedehnten Kanten noch so viel Spannung anliegt, wie groß muß die Spannung dann erst mit verkürzten Kanten sein? Irgendwann mal, als es noch jung war, hat das Gestell das ausgehalten, aber hält es diese Spannung jetzt noch aus? Abschneiden kann man immer...

So, nun hast Du einen Schitt. Danach kannst Du so viele Segmente schneiden, wie Du brauchst. Mach die Nahtzugabe der Längskanten möglichst klein oder schneide sie hinterher ab. Je kleiner, desto besser sieht es aus. Man sieht beide Seiten des Stoffes, also muß versäubert werden. Das übliche einzackeln und Overlock-Versäuberung ist ungeeignet, weil weder schön noch historisch korrekt. Doktor Bender empfielt eine französische Naht mit 1-3 mm Überhang - je weniger, desto besser. Das erfordert hohe Konzentration und geringe Geschwindigkeit an der Maschine und natürlich die Fähigkeit, wirklich gerade Nähte zu nähen. Auch hier spielt der ursprüngliche Spannungs-Test eine Rolle: War die Spannung groß, darf man hier nicht noch mehr wegnähen. Ein Schirm, bei dem der Bezug nicht unter Spannung steht, ist nicht besonders schön, aber besser als das Gestell durch zu große Spannung zu beschädigen ist es allemal.

Willst Du den Schirm für eine Darstellung nach 1850 verwenden, kannst Du die Teile mit der Maschine zusammennähen, ansonsten mit der Hand. Bei Handnähten darf die erste Naht mit Maschine gemacht werden, weil man sie am Ende nie sehen wird; die zweite muß in Rückstich gearbeitet werden, weil gewöhnlicher Vorstich die Spannung nicht aushält. Mach das Loch an der Spitze möglichst klein - gerade so groß, daß es über den Stiel paßt. Verzichte erstmal auf das Versäubern der Basiskante und mach eine "Anprobe".

Sind die Segmente zusammengesetzt, ziehe das Mittelloch über die Spitze und befestige das Ende jeder Naht an einer der Spitzen durch das dafür vorgesehene Loch. Zieh dabei an der Naht, bis sie ohne Spannung gerade liegt, und dann ein klein wenig weiter, so daß eine leichte Spannung anliegt. Spanne den Schirm auf und achte dabei darauf, ob das Gestell Gräusche von sich gibt, die auf Überlastung hindeuten - wenn ja, dann brich den Versuch ab und verringere die Spannung auf der Längsnaht.

Wenn das nicht hilft, hast du wahrscheinlich zu viel vom Segment weggenäht. Dann gibt es nur noch eins, bevor Du den Bezug neu machen mußt: Wenn Du an der Basiskante noch viel Zugabe übrig hast, kannst Du die nötige zusätzliche Weite dort hernehmen. Also statt das obere Ende zu fixieren und unten etwas abzuschneiden, fixierst Du das untere Ende und schneidest oben etwas ab. Dazu mußt Du natürlich die Segmente oben nochmal enger nähen. Um wieviel, kann nur der Versuch zeigen, d.h. eine weitere Anprobe oder auch zwei.

Wenn das Gestell nicht ächzt, aber der Stoff knarrt, dann ist das OK. Es muß ja Spannung drauf sein, und der Stoff wir mit der Zeit noch ein wenig nachgeben. Wann ist die Spannung richtig? Wenn man mit dem Finger darüberfahren und Widerstand spüren kann, aber nicht darauf Trommel spielen. Dann liegt auch die Unterkante fest, nämlich auf Höhe der Löcher, durch die sie am Gestell befestigt wird.

Wenn Du es besonders hübsch machen willst, bedecke die Gelenke nach außen hin mit einem kleinen Stück des Oberstoffs. Das verhindert Abrieb. Der untere Gelenkkranz wurde auch oft von unten her mit Oberstoff verkleidet, aber das Wie läßt sich kaum beschreiben. Wenn Dein Schirm solche Verkleidungen hat, laß sie am besten dran. Wenn sie von der Farbe her nicht zum neuen Bezug passen, dann schau Dir wenigstens ganz genau an, wie es gemacht war, bevor Du sie entfernst.

Wenn Du den Bezug endgültig befestigst, dann nähe ihn kurz unterhalb des Gelenks noch einmal am Gestell fest, aber nicht zu straff. Schneide einen Stoffkreis aus, dessen Mittelloch so groß ist wie der Durchmesser der Schirmspitze. Schneide den äußeren Rand mit der Zickzackschere aus oder, hübscher, mit der Nagelschere in kleine Bögen. Zieh diesen Kreis über die Spitze, um die Stelle zu überdecken, wo die Segmente aufeinandertreffen. Optional kannst Du noch einen Stoff- oder Lederring aufsetzen, der den Bezug vor der Kante der Metallkappe schützt und unter dieser nur um 1-m mm hervorschaut. Setze dann die Metallkappe wieder auf und befestige sie mit einem kleinen Nagel. Wenn der Schirm keine Metallkappe hatte, dann war der Übergang zur Spitze wahrscheinlich mit einem gesmokten Stück Oberstoff bedeckt.

Wenn die Spitze einer Speiche fehlt, läßt sich das unter Umständen auch reparieren. Ist die Spitze ein aufgesetztes Teil aus Holz, Bein o.ä., dann muß man nur das Teil abformen und wieder aufsetzen. Das erfordert evtl. die Dienste eines guten Drechslers. Ist die Spitze die Verlängerung einer Strebe, dann ist es etwas komplizierter. Ich würde mit einem sehr dünnen Metallbohrer ein Loch in das Ende der Strebe bohren und ggf. die Bruchstelle abfeilen, damit sie weder den Stoff noch eine Person verletzen kann.

Fehlt ein Stopper, kann man ihn aus Draht biegen und im Holz des Stiels verankern. Das klingt einfach, ist es aber nicht. Zuerst muß der Draht so breit sein, daß er in den dafür vorgesehenen Schlitz paßt. Ein zu schmaler Draht (unter 1,2 mm) läßt sich zu leicht verbiegen, d.h. er federt nicht. Ist der Draht zu dick, muß man unter Unständen den Schlitz entsprechend verbreitern. Hat man die Form (mit oder ohne Vorlage) hingekriegt, muß man das Ende im Holz versenken, d.h. viel Druck auf ein Ende ausüben, ohne die Form insgesamt zu verändern - gar nicht so leicht. Man kann ja nicht einfach mit dem Hammer draufhauen wie bei einem Nagel. Es hilft allerdings, wenn man das Ende des Drahtes anspitzt. Hat man das geschafft, muß das Drahtteil federn, d.h. sich vom Schieber in den Schlitz drücken lassen und, wenn der Schieber daran vorbeigelaufen ist, wieder hochkommen. Ich habe das einmal versucht, bin aber am Federn gescheitert - wenn ich den Schirm aufspanne, muß ich jedesmal den Stopper mit dem Fingernagel "ausgraben".

Zusätzliche Infos findest Du auch in meinem Erfahrungsbericht.

Wenn Du sicher sein willst, daß die Restaurierung funktioniert, dann kaufe nur bestens erhaltene Gestelle. Falls Du Methoden weißt, wie man mehr als den Stoff restaurieren kann, laß es mich bitte wissen - ich lerne gern etwas neues!