Auf dem Flohmarkt erstand ich für 35 Mark ein recht außergewöhnliches Sonnenschirmgestell: Es ist so lang, daß es mir vom Boden bis zur Brust reicht. Das ist selbst für die Zeit von 1910-15, als die Schirme am längsten waren, recht viel: Meistens reichten sie nur bis zur Taille. Der Stiel macht einen recht robusten Eindruck (normalerweise sollten Sonnenschirme ja eher zart wirken) und hat am Ende eine große Holzscheibe antatt eines Knaufs. Alles also sehr schlicht und fast klobig, ganz ohne Schnitzereien, Edelmetalle oder Elfenbein. Auf all diese Merkmale stützt sich übrigens auch die Datierung. Außerdem ist das Gestell golden lackiert und hat 12 Streben, während die meisten Schirme nur 8 haben. Viele Streben sehen besonders elegant aus, machen aber auch viel Arbeit beim restaurieren. Das ganze Gestell ist knapp 110 cm lang, dabei die Spitze 11, die Streben 48 und der reine Stiel nach Adam Riese 51 cm. Daß der Stiel fast halb so lang ist wie der ganze Schirm gibt ihm noch zusätzlich eine elegante Note und rettet ihn davor, allzu klobig zu wirken.
Der Stoff - ein leichter Seidenstoff, den man heute wohl unter Pongée einsortieren würde - war zerschlissen, ausgebleicht und brüchig. Der Bezug war ein leicht ins graugrüne spielendes Hellblau, die Abdeckung der Spitze und das Innenfutter Dunkeltürkis, aber stark verblichen. Das Innenfutter war leider so mitgenommen, daß sich kein Schnitt mehr abnehmen ließ. Aber wahrscheinlich hätte ich mir so oder so nicht die Arbeit gemacht, auch noch ein Innenfutter anzufertigen. Eine der Strebenspitzen fehlt.
Am Ende des Stiels, fast verborgen im Schatten des großen Scheibenknaufs, wohnt ein Ring aus Horn, der sich obendrein dadurch tarnt, daß er fast die Farbe des Holzes hat. Da, wo das Holz im zugeklappten Zustand vom Stoff verborgen war, hat das Holz einen grünlichen Ton, den es vielleicht vom Stoff angenommen hat. Aber auch an anderen Stellen zeigt sich hie und da ein grünlicher Schimmer - vielleicht war das Holz mal grünlich eingelassen und ist an exponierten Stellen ausgeblichen. Jedenfalls war es recht fleckig, wie sich v.a. auf den Bildern vom Griff und der Troddel erkennen läßt, d.h. es sah ziemlich schmuddelig aus. Die Troddel war etwas abgewetzt, aber noch gut genug, daß ich sie dranlassen wollte.
Die erste Amtshandlung war, den Bezug abzunehmen und das am besten erhaltene Segment vorsichtig dicht an der Naht herauszuschneiden. Davon nahm ich einen Schnitt ab. Es dauerte dann ziemlich lange, bis ich einen geeigneten Stoff gefunden hatte: Seide mußte es sein, Pongée, Taft oder Satin, und in einer Farbe, die zur Troddel paßte. Endlich fand ich einen Crêpe Satin in hellem Graublau. Dieser Stoff neigt dazu, sich in alle Richtungen zu verschieben, so daß es schwierig ist, ihn gerade zu schneiden. Besonders bei einem Schirm, wo alles ganz genau sein sollte, ist das unangenehm. Also stärkte ich ihn vor dem Zuschneiden. Beim Zuschneiden gab ich ca 1 cm Nahtzugabe und begradigte die Unterkante. Ich heftete die Segmente links auf links zusammen, nähte sie mit der Maschine mit kleinen Stichen, und schnitt dann die Nahtzugabe auf 2 mm zurück. Auseinanderbügeln, wenden, heften, und dann eine zweite Naht 2mm von der Kante - fertig war die französische Naht. Das klingt jetzt schnell und einfach, aber bei 12 Segmenten zieht sich schon das Zuschneiden, mehr noch das Heften ziemlich in die Länge.
Da auch das am besten erhaltene Segment nicht ganz unbeschädigt war, hielt ich eine "Anprobe" für angebracht. Da die Längsnähte schräg zum Fadenlauf sind, sind sie auch besonders dehnbar, besonders bei Crêpe Satin. Beim ersten Versuch zog ich folglich zu fest an, so daß das Gestell schon besogniserregend knarrte, bevor ich den Schirm halb offen hatte. Beim zweiten Versuch ließ ich lockerer, und siehe, der Schirm ging auf und hatte die richtige Spannung. Zumindest untenherum. Oberhalb der Gelenke saß der Stoff zu locker und zeigte ein paar Schrägfalten. Durch diesen Versuch hatte ich immerhin die endgültige Unterkante bestimmt. Ich schnitt den Überschuß ab und rolierte den Rand von Hand. Zweimaliges Umschlagen, Heften und nähen mit der Maschine wäre mindestens ebenso zeitaufwendig gewesen.
Nachdem der Rand fertig war, machte ich eine zweite Anprobe. Ich zog die Längskanten gerade so weit an, daß sie ohne Spannung gerade anlagen, öffnete dann den Schirm - oh weh! Kurz vor dem oberen Stopper war die Spannung so groß, daß ich gleich wieder aufhörte. Das Gestell ächzte zwar nicht, aber wenn man richtig Kraft aufwenden muß, um den Schieber weiterzuschieben, wie will man dann den Schirm im "täglichen" Gebrauch aufgespannt kriegen? Schade: Die Spannung im oberen Teil wäre jetzt richtig gewesen.
Wie kann es sein, daß die Spannung unten so viel größer ist als oben, obwohl ich mich genau an den Schnitt gehalten habe? Ist mir der Stoff doch zu viel verrutscht? Meine momentane Theorie ist, daß ich die Basiskante nicht hätte begradigen sollen. Dadurch, daß die Unterkante fadengerade ist, wehrt sie sich gegen allzu starke Querdehnung - wäre sie im Bogen geschnitten, würde sie wahrscheinlich mehr nachgeben.
Das Holz wollte ich nicht so versifft lassen, wie es war. Also schliff ich es mit Sandpapier ab, bis alle Flecken weg waren - erst mit 30er, dann mit 80er und schließlich mit 120er Papier. Eine Schleifmaus war sehr hilfreich, da die Schwingschleiftechnik es erlaubte, dicht an den Hornring heranzugehen, ohne ihn zu verkratzen. Danach war das abgeschliffene Holz im Vergleich zu vorher sehr hell - so konnte es nicht bleiben, denn den vom Bezug verdeckten Teil und die Spitze wollte ich nicht abschleifen, das wäre zu viel Arbeit gewesen. Da ist ja das Gestell im weg. Es mußte etwas dunkler, gilbiger werden und vor allem beständig gegen Schmutz. Das Mittel der Wahl war Leinölfirnis in drei Schichten. Bis der trocknet, dauert es etwas.
Bei der letzten, danebengegangenen Anprobe hatte ich untenherum noch ca 1 cm "Luft" zwischen Befestigung und Rand, so daß ich etwas lockerer lassen konnte. Es sieht sowieso besser aus, wenn der Bezug direkt am Rand festgenäht wird. Dadurch ließ sich der Schirm mit mäßigem Kraftaufwand aufspannen, aber obenherum saß er wieder eine Idee zu locker, wenn auch nicht so sehr wie vorher. Ich glich das dadurch aus, daß ich den Segmenten oben noch ein bißchen Länge wegnahm, indem ich sie 1 cm unterhalb des Loches mit festem Zwirn fest zusammenraffte, so daß das obere Loch ein wenig nach unten wanderte. Das konnte ich mit aber nur leisten, weil ich einen Stoffring obendrauf setzte, der das obere Ende der Segmente verdeckt. Das originale Loch mußte am Stiel etwas nach oben wandern, aber das wird sowieso von einem Stück gerafften Stoffes verdeckt, wie es auch ursprünglich gewesen war. Die Längsnähte stehen nicht im geringsten unter Spannung.