Das Gruselkabinett

 


Ein Bild sagt mehr als tausend Worte, und deshalb möchte ich Euch auf dieser Seite ein paar Beispiele von richtig, richtig miesen "historischen" Kostümen vorstellen, nach dem Motto: "Nichts ist unnütz; es kann immer noch als schlechtes Beispiel dienen." Ich gebe gern zu, daß ich diese Seite auch dazu benutze, meinem Ärger darüber Luft zu machen, daß meine GEZ-Gebühren und Steuern für Volksverdummung mißbraucht werden. Die meisten Beispiele entstammen nämlich öffentlich-rechtlichen Filmen und Doku(!)dramen.* Rechts habe ich versucht, jeweils an einem Gegenbeispiel zu zeigen, wie es richtig wäre. Allerdings fand sich oft kein zeitgenössisches Bild, das den Unterschied hinreichend deutlich vor Augen führt.

Manche der Bilder sind durch anklicken vergößerbar. Einfach mit der Maus drüberfahren...

 

Der scharlachrote Rock, 1955

Viele glauben, man könne ein Rokoko-Gewand herstellen, indem man den Schnitt eines ungefähr ähnlichen modernen Kleidungsstückes nimmt und ein wenig abändert, also z.B. für ein Justaucorps einen Sakkoschnitt verlängert und große Ärmelaufschläge drantackert. Die Kostüme in diesem Film sind ein extremes Beispiel für diesen Irrglauben. Mit 50 Jahren Abstand wird besonders deutlich, wie sehr die "Herrenröcke" dem ähneln, was man beispielsweise aus Hitchcock-Filmen kennt. Von den Frisuren ganz zu schweigen.

 

Wollte man alle Fehler des Kostümbildners aufzählen, würde das viel zu lange dauern.

Zu den hervorstechendsten Beispielen zählt die Schulterlinie, die durch riesige Schulterpolster überbetont wurde, wie das in den 50ern Mode war. Die Ärmel sind schlabberig-weit, gerade geschnitten und in Sakko-Manier eingesetzt. Dafür sind die Ärmelaufschläge für die dargestellte Zeit (1770er/80er) viel zu groß.

Der Ausdruck "keinen Arsch in der Hose" könnte aus dem 18. Jh. stammen: Hosen mußten einen großen, beuteligen Hintern haben, damit man sich darin schmerzfrei hinsetzen konnte. Es ist ein beliebter Fehler, den Schnitt aus ästhetischen Gründen zu modernisieren. Da aber ein Herr den Rock nicht in der Öffentlichkeit ablegte, sollten ästhetische Überlegungen gar keine Rolle spielen.

Wobei... wenn ich mir den Knackarsch links so anschaue, fühle ich mich geneigt, dem Kostümbildner zu verzeihen. ;)

Da, wie gesagt, ein Herr den Rock nicht in aller Öffentlichkeit ablegte, gibt es auch keine zeitgenössischen Abbildungen dessen, wie es aussehen sollte.

Nur ein Bild konnte ich von der Frauenkleidung im Film erwischen. Hals und Brust umspielen Volants aus Organza - typisch 50er Jahre. Will sagen: Kostümfilm der 50er Jahre. Der Oberkörper verrät die formende Kraft eines 50er-Jahre-Mieders mit Spitzbusen. Die Streifen im Kleid zeigen die Lage der Abnäher überdeutlich - dabei gab es im 18. Jh. gar keine Unterbrustabnäher. Wozu auch? (siehe auch unten bei Amadeus)

 

 

Amadeus, 1984

Ironischerweise bekam "Amadeus" einen Oscar für die Kostüme, obwohl der Kostümbildner wie auch bei "Valmont" übelst gestümpert hat. Dabei sind zwischen vielen besch...eidenen Kostümen einige wenige, die halbwegs in Ordnung sind. Wie so oft findet man die wenigen Gut-Beispiele meist an Komparsen.

Constanze trägt beim ersten Auftritt etwas, das wohl eine Française sein soll. Der Kostümbildner hat den gleichen Fehler gemacht wie Sabine Normalverbraucherin und an ein Kleid hinten ein paar "Watteaufalten" geklebt. Das wäre wahrscheinlich nicht weiter aufgefallen, hätte er die Falten nicht ausgerechnet aus einem anderen Stoff als das restliche Kleid gemacht. Beim Bild links allerdings fällt schon anhand der Form auf, daß die Falten nicht, wie es sein sollte, Teil des Kleidrückens sind.

Die Perücken sind ein weiterer Schwachpunkt, besonders bei den Statistinnen. Sie sehen aus, als wäre ein toter Pudel aus 2000 Metern Höhe auf ihren Kopf gefallen und dort klebengeblieben. Die Haare sind ganz offensichtlich von Natur aus (oder besser gesagt, von Chemie aus) weiß, anstatt weiß gepudert zu sein, und der Haaransatz ist allzu offensichtlich mit Absicht verdeckt.

Dabei waren solche Türme (typisch für die 1770er), wie sie links zu sehen sind, schon aus der Mode, bevor Mozart erwachsen war. Schaflockig-wuschelig waren die Türme nie, sondern im Gegenteil sehr ordentlich in wohldefinierte Rollen gelegt. Wuschelige Frisuren gab es (Bild rechts) Ende der 80er noch, aber sie waren nicht hochgetürmt.

So richtig abstrus wird es dann bei der Unterkleidung: In zwei Szenen werden unter den Frauenkleidern Satinhöschen mit Spitzenbesatz sichtbar. Wenn Forman provozieren wollte, hätte er sich an die historische Überlieferung halten sollen – aber das war wohl auch ihm zu pinkant, da die Damens untenrum rein garnichts darunter trugen. Das "Korsett" links erklärt, warum die Kleider nicht richtig zu sitzen scheinen: Mit eingearbeiteten Körbchen kann nun mal nicht die richtige Linie herauskommen.

 

Trenck - Zwei Herzen gegen die Krone, 2003

Als Historienfilm ist "Trenck" schauspielerisch wie kostümtechnisch übelster Mist. Wenn Sprache, Verhalten und Klamotten modern sind, wo bleibt dann die Historie?

Es gibt wahrscheinlich in dem ganzen Film keine Frau, die nicht eine Turnschuhschnürung im Rücken hat. Dafür fehlen Ärmelabschlüsse wie z.B. Aufschläge, Volants oder Rüschen.

Eine Anprobe-Szene der Prinzessin ist so gruselig, daß ich sie gleich mehrmals zitieren muß...

Die Nicht-Existenz von etwas (z.B. von Turnschuhschnürungen) kann man logischerweise kaum illustrieren. Du kannst nur alle meine Museums-Fotos inspizieren, evtl. selbst ins Museum gehen, und feststellen, daß tatsächlich keines der ausgestellten Kleider eine Rückenschnürung hat.


Wir sehen hier ein Kleid, das aus einem hellblauen Rock und einem braunen Oberteil besteht. Die Stoffkombination allein ist ja schon gruslig, aber daß das Kleid so eindeutig aus zwei Teilen zusammengesetzt ist, schlägt dem Faß die Krone ins Gesicht. Deutlicher kann ein Kostümbildner seine Ahnungslosigkeit kaum zur Schau stellen. Im Rücken sehen wir die unvermeidliche Schnür-Öffnung, und da der Rock am Oberteil angenäht ist, ist auch er hinten offen. Die Ärmel sind lang, blusig und haben sogar Manschetten wie eine moderne Bluse.

Im Modemuseum Ludwigsburg hat man sehr schön gezeigt, wie es eigentlich gehört: Ein Rock (rechts, oben), der seitlich zugebunden wird, und dazu ein Kleid (unten), das nur vorn offen ist. Der Rock ist gleich mit angeschnitten und die Ärmel sind natürlich nur ellbogenlang.


Dann läßt die Prinzessin das Kleid einfach fallen, und man fragt sich, wo denn nun der Unterbau hin ist, der eben noch den Rock so breit aufgebauscht hat. Es kommt mal wieder ein Beinkleid zum Vorschein. Das braucht sie auch, weil die Chemise fehlt, die normalerweise den Unterkörper bis mindestens zum Knie bedecken würde. Aber warum sich die Arbeit machen, wenn man auf dem Flohmarkt 1920er-Beinkleider und 1920er-Trägerhemden kaufen kann? Warum die Kosettträger zunesteln, wenn man sie auch annähen kann? Immerhin muß man dem Kostümbildner zugestehen, daß er die Form einer Schnürbust getroffen hat.

Von der Unterkleidung gibt es natürlich keine zeitgenössischen Bilder. Außer vielleicht in erotischen Darstellungen, die ich aber nicht habe.

Dazu paßt natürlich auch die moderne Schneiderpuppe...

 


Am gestreiften Kleid sieht man sehr schön, was passiert, wenn man die Konstruktionsmethode des 18. Jahrhunderts nicht begriffen hat: Man muß das Rückenteil aus zwei Teilen je Seite machen, weil es sonst nicht sitzt. Wenn das Kleid unbedingt im Rücken anliegen muß - was zur dargestellten Zeit durchaus nicht der Fall ist -, dann sollte man eben eine Robe à l'Anglaise wie im Bild rechts machen, wo die Paßform durch Falten gewährleistet wird. Aber da ist leider für die Turnschuhschnürung kein Platz. Schade, schade. ;)

Auch sehr deutlich zu sehen sind die verstürzt angesetzten Tüten, die beim ahnungslosen Kostümbildner die Stelle der Ärmelvolants vertreten.

Zu allem Überfluß ist dasselbe Kleid noch nicht mal bodenlang - und der Rockteil vorn offen. Da müßte man sich doch eigentlich fragen, warum man noch hinten schnürt, wenn es vorn doch sowieso offen ist? Ist das wirklich so abwegig, daß nicht einmal Profis auf diesen Gedanken kommen?

 

 

Die Gräfin Cosel, 2005

So richtig ärgerlich wird Kostüm-Stümperei, wenn Dokumentationen (!) Spielszenen enthalten. Wenn den Machern einer Doku historisch korrekte Kleidung egal ist*, fragt man sich doch, ob ihnen die Korrektheit nicht auch in anderer Hinsicht egal ist. Wie glaubwürdig kann so eine Doku sein?

Immerhin: Im Rücken des Kleides links ist ein deutlicher Knick, der auf die Anwesenheit eines Korsetts hinweist. Da verwundert es dann nicht, daß das Kleid vorn um die Brust herum beult: Es wurde offenbar nicht zum Tragen über einer Schnürbrust gemacht. Da ist es auch egal, ob sich unter dem Übertritt eine Schnürung oder ein Reißverschluß verbirgt: Falsch ist es allemal. Wieder sehen wir vorn den andersfarbigen dreieckigen Einsatz, an dem wohl kein Kostümbildner vorbeikommt, und einen extra angesetzten Rock mit Schlitz hinten. Die Frisur und das seltsame schleierartige Gebilde im Haar ließ mich eine Weile lang glauben, die Szene stamme aus einem 1970er Film des "Dracula jagt Minimädchen"-Genres.

 

Der elende dreieckige Einsatz nimmt manchmal auch Formen an, die sich nicht mehr durch eine mißverstandene historische Vorlage erklären lassen - da hat die Phantasie durchgedreht. Der Stoff des Einsatzes schreit "Ich bin ein Sofa!" und reicht so weit über die Brust hinaus, daß von einem Decolleté nicht mehr die Rede sein kann.

Bisher wurde noch gar nicht erwähnt, wann die Geschichte der Cosel spielt: Um 1699 wurde sie Maitresse von August dem Starken, 1716 fiel sie in Ungnade. Es geht also um eine Zeit, in der noch das Manteau getragen wurde. Gerüsche am Ärmel, das dem links annähernd (aber wirklich nur annähernd) ähnelt, gab es erst um 1770.

 

Ausnahmsweise hat ein im Rücken anliegendes Kleid mal keine Turnschuhschnürung, aber da die Geschichte Anfang des 18. Jh. spielt, würde ich anstatt der Nähte Falten erwarten. Einen Schalkragen schon gar nicht. Und vor allem keine Schulternähte, die auf der Schulter sitzen, anstatt schräg ins Rückenteil versetzt zu sein.

 

 

An die Unart, um den hinteren Mittelschlitz eines Justaucorps Borten zu legen, hat man sich fast schon gewöhnt. Aber wenn der Schlitz dann aufklafft, so daß das Hemd hervorschaut, ist man regelrecht dankbar, daß es nur das Hemd ist und nicht ein Bauarbeiterdecolleté. Wo ist die Weste hin, die uns vor solch einem Anblick bewahren sollte?

 

An das Hemd des Königs hat man mal eben einen Streifen von Omas Bettwäsche gesetzt, und da Spitze nicht fehlen darf, hat man auch noch Omas Gardine verwurstet. Armer König! Mit der zeitgenössischen Nadelspitze hat das ziemlich wenig zu tun, auch wenn Gardinenspitze des frühen 20. Jh. tatsächlich versucht, Nadelspitze nachzuahmen.

 

Katharina die Große

Eine weitere Doku mit Spielszenen, nur daß hier die Kostüme nicht ganz so mies sind. Bei den Hauptfiguren liegen die Fehler mehr im Detail, aber auch hier grüßen Rückenschnürungen (oder sind es gut versteckte Reißverschlüsse?). So trägt Katharina zu weitgehend guten Kleidern fingerlose Tüllspitzen-Handschuhe (im 19. Jh. beheimatet, und auch da eher ellbogenlang) und die Ärmelaufschläge fangen am Ellenbogen an, reichen den Oberarm hinauf und sind hinten fast ganz zugenäht.

Das Bild rechts aus dem Germanischen Nationalmuseum zeigt, daß der Aufschlag am Ellenbogen endet und hinten offen hängt.

Immerhin: Ärmelaufschläge gehören in die Zeit vor 1750, was zu Katharinens Jugendzeit paßt.

Die Ankleideszene "besticht" wieder einmal durch Abwesenheit eines Hemdes. Da verwundert es nicht, daß so viele kein Korsett tragen möchten: Der Gedanke, ein solches auf bloßer Haut zu tragen, wirkt mit Recht abschreckend, zumal hier die Zaddeln unversteift sind. Ein bißchen zuviel Speck auf den Rippen, und es schneidet ein!

Von der Form her ist diese Schnürbrust, wie auch die in "Trenck", durchaus authentisch. Auffälligerweise sind aber beide ganz schlicht naturfarben, während zeitgenössische Exemplare bunt, ja sogar aufwendig gemustert waren. Warum ist das so? (Na klar: Wenn es auf bloßer Haut getragen wird, muß man es waschen können.)

Ach, ich vergaß: Turnschuhschnürung! Seht ihr, wie die Schnürösen auf beiden Seiten gleich hoch sitzen?

 

Der halbwegs gute Eindruck, den Katharinas Kleider gemacht hatten, wird zerstört, als sie sich auszieht: Es wird deutlich, daß ihr "Stecker" auf einer Seite des Kleides angenäht und auf der anderen angehakt ist.

Das ist ein Kostümbildner-Trick, der eine authentische Optik mit unauthentischen Mitteln erzielt und wäre verzeihlich, wenn er verborgen bliebe. Aber doch bitte nicht bildschirmfüllend!

 

Wie so oft sind es vor allem die Statisten, die das Bild stören. So z.B. diese Frau, die an ihr kurzärmeliges Kleid Tüten angesetzt hat, die wohl Volants vorstellen sollen. Daß Volants keine Tüten sind und daß sie, ebenso wie die Ärmelaufschläge, erst am Ellenbogen ansetzen, hat sie nicht kapiert. (Naja, nicht sie selbst, sondern der Kostümbildner.)

Die Macher solcher Historiendokus sollten einfach mal Reenactors als Statisten engagieren. Aber nein, die würden ja nur stören, weil sie bessere Klamotten haben als die Hauptdarsteller. Und so undekorativ die Gesichter verziehen, wenn sie so etwas sehen.

Ganz frech wird uns in voller Bildschirmgröße ein Fächer ins Gesicht gereckt, dessen Blatt aus Bändchenspitze besteht. Fächer aus Spitze aber sind eine Erfindung des 19. Jahrhunderts; Bändchenspitze taucht sogar erst gegen Ende des 19. Jh. auf. Und weil ein Blatt aus Bändchenspitze so langweilig ist, hat man auch noch Poly-Tüllspitze oben drangesetzt.

Katharina wurde 1729 geboren, als das Manteau schon längst aus der Mode war. Trotzdem trägt sie in dieser Szene ein ebensolches und dazu, wie es scheint, Poschen als Rockstütze - eine Erfindung der 1750er. Das Manteau war ein eher schlanker Modestil und kam noch mit einer Hüftrolle aus. Was für die Cosel oben richtig gewesen wäre, ist für Katharina bei weitem zu spät.

 

 

Leb wohl, meine Königin, 2012

Die Extras der DVD verraten, daß die Kleider für jede Trägerin maßgeschneidert wurden. Die Vorleserin und ihre Chefin besitzen offenbar nur jeweils eines, die Königin vier und ihre Geliebte zwei. Summa Summarum acht. Bei einer größeren Kinoproduktion, die sogar in Versailles drehen darf, erwarte ich eigentlich, daß bei so wenigen Kleidern wenigstens ein bißchen auf die Optik geachtet wird. Naiv, ich weiß. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf.


Die Kostümbildner haben offenbar meterweise maschinenbestickten Taft eingekauft, und jeweils dazu passend einfarbigen Taft, denn daß ein ganzens Kleid aus nur einer Sorte Stoff bestand, ist natürlich völlig undenkbar.

Und natürlich kann sich eine poplige Vorleserin bestickte Seide leisten, bzw. deren Gehilfin Seidenbrokat.

Und ich habe eine Yacht in St. Tropez.

Man beachte bitte im ersten Bild, wie schön die Knopfleiste beiderseits in Nähfußbreite abgesteppt wurde. Und die Jacke der Vorlesergehilfin ist falschrum geknöpft.

 

Solche Mengen maschinenbestickten Tafts kosten natürlich einiges - da war am Ende wohl kein Geld mehr für Schnittmuster übrig. Und so müssen alle Protagonistinnen das gleiche Kleid tragen, nämlich die Robe à la Turque, bei der das Überkleid über dem falschen Stecker oben geschlossen ist und nach unten hin immer weiter auseinanderklafft. Nur die eine oder andere Statistin oder Nebenrolle trägt etwas anderes, das dann aber vollends der Phantasie geschuldet ist.

Ganz toll fand ich übrigens Gabrielle, die immer einherläuft wie ein Mannequin auf dem Laufsteg, die Arme und Schultern übertrieben vor- und zurückschwingend. Das vorletzte Bild links gibt eine Idee davon, was das mit dem Kleid macht. Es tun sich ungeahnte Hohlräume auf...

 

Eine einzige Frau in dem ganzen Film trägt eine Schnürbrust, und zwar ausgerechnet dann, wenn sie mit Fug und Recht keine zu tragen bräuchte und normalerweise auch keine tragen würde: Im Bett. Sie ist zwar nicht gertenschlank, aber so plötzlich wird kein Hintern so breit, wie es hier zu sehen ist. Offenbar trägt sie im Bett auch Hüftrolle - unter der Schnürbrust. Lieber Kostümbildner: In Schnürbrust und Hüftrolle schläft es sich schlecht, und es hatte seinen Grund, daß letztere über der Schnürbrust getragen wurden. Zum Beispiel, daß die Schnürbrust sonst ganz doof unten aufklaffte....

Habe ich eigentlich schon auf die Turnschuhschnürung hingewiesen?

 

Die Vorleseringehilfin hat die schönste aller Turnschuhschnürungen, komplett mit Metallösen und einer Knopfleiste vorn (übrigens sehr schön in Nähfußbreite abgesteppt), die jeden potentiellen Sinn der Schnürung ad absurdum führt. Obwohl sich das Kleid dank Knöpfung und Schürung beidseitig abschälen läßt, hat im rechten Bild Mme Bertin alle Mühe, das Mädel auszuziehen. Muß wohl daran liegen, daß da ganz plötzlich ein Hemd aufgetaucht ist, das da vorher nicht war. Was da immer noch nicht ist: Eine Schnürbrust.

 

Die eigentliche Vorleserin muß eine reiche Frau sein, denn sie kann sich außer mehreren Metern hand(hüstel)bestickter Seide auch noch einnen doppelten (!) Spitzenvolant am Ausschnitt leisten: Einen in Orange und einen in Dunkelrot. Blöd nur, daß es im 18. Jh. Spitze in genau vier Farben gab: Weiß, eierschalfarben, Elfenbein und Creme. Und für die ganz extravaganten schneeweiß.

 

 

 

Diverse

Ein Veranstaltungsplakat aus dem Sommer 2011. Den Banken muß es wirklich dreckig gehen, wenn sie sich mit so etwas "schmücken": Nyolongardinen, ungekämmte Plastikperücken, Tütenärmel.

 

Mein erster Gedanke bei diesem Plakat war: Aus welcher Zukunft ist der Zeitreisende denn angereist? Mein zweiter: Hoffentlich erlebe ich diese Zukunft nicht mehr, in der Menschen sich in gepuffte, geraffte Ballonseide kleiden. Eine kurze Recherche aber zeigte: Der Kerkeling will hier Katharina die Große vorstellen. Ja genau, die Zarin, 1729–1796.

Zugegeben, Katharina war auf ihre alten Tage nicht mehr die Schlankeste und hoffte wohl, das durch quergeraffte Ärmel kaschieren zu können - aber doch nicht so! Meine Eltern hatten mal einen ausgedienten Bundeswehr-Fallschirm, der bis auf die Farbe genau so aussah, wenn man an den Schnüren zog und so den Stoff raffte. Und was die Farbe angeht... da fehlt auch nicht mehr viel.

Woher kommt es eigentlich, daß die Kombination aus Schlammgraubraun und Hellblau so beliebt ist? (siehe oben, bei Trenck, 2. Bild). Jetzt sag mir bitte keiner, Katharina trüge hier rechts doch auch so eine Kombi. Das ist helles Blaugrau und dunkleres Graublau! Dem hellen Glänzen nach zu urteilen wohl Hell- und Dunkelblau, jeweils mit Silber durchwebt. Einer Kaiserin sicher angemessener als ein umgearbeiteter Fallschirm.

 

 

Der scharlachrote Rock (The Scarlet Coat), 1955, Regie John Sturges
Amadeus, 1984, Regie Miloš Forman
Trenck - Zwei Herzen gegen die Krone,2003, Regie Gernot Roll

Die Gräfin Cosel aus der Reihe "Geschichte Mitteldeutschlands", MDR 2005

Katharina die Große: Daten leider nicht bekannt.
Leb wohl, meine Königin, 2012, Regie Benoît Jacquot

 

*) Nach Lektüre dieser Seite hat sich der Kostümbildner der "Gräfin Cosel" bei mir gemeldet und mir ein paar Einblicke darein verschafft, wie solche Doku-Dramen gemacht werden: Man gibt dem Kostümbildner ein knappes Budget, das nur gerade ausreicht, etwas aus den Fundi diverser Sender/Theater etwas gebrauchtes zusammenzugrabbeln. Angesichts dessen, was Film, Fernsehen und Theater einem so auftischen, kann dabei nicht allzu viel vernünftiges rauskommen.** Also sollte ich mich wohl eher über die Produzenten beschweren, die nicht genug Geld rausrücken, und über Regisseure, denen die Historie am Arsch vorbeigeht. Egal, wer nun schuld ist: Die öffentlich-rechtlichen haben einen Bildungsauftrag, und unser aller GEZ-Kohle sollte nicht für Volksverdummung verwendet werden. Von einer Doku erwartet man normalerweise Authentizität und sollte sie auch erwarten dürfen.
**) Eine weitere Informatin berichtete, daß Fundi selbst für abgefuckte Fummel um die 70 € Miete pro Tag verlangen. Da wundert einen nichts mehr. Ordentliche Statisten aus der Reenactment-Szene wären deutlich billiger.