Die Frage stellt sich spätestens dann, wenn der Sommer mal wieder völlig verregnet ist: Was trägt man, wenn es kalt ist? Für Männer, deren Anzug aus Wollstoff ist, stellt sich die Frage nicht ganz so dringend. Für Frauen gibt es Mantelets und Plisses, die aber für richtige Winterkälte nicht taugen. Zumindest nicht so, wie die zeitgenössische Quelle, Garsault, sie beschreibt, nämlich aus Seidentaft oder Musselin gemacht.
Der Hauptunterschied zwischen Frauen- und Männermänteln ist die Länge. Während Männermäntel plusminus knielang sind (maximal wadenlang), sind Frauenmäntel meist nur gut hüft- bis oberschenkellang, maximal knielang. (Die einzigen Mäntel, für die ich Maße kenne, sind die aus Costume Close Up: 135 cm beim Mann, 108 cm für die Frau.) Das liegt vielleicht daran, daß der schwere Mantel zu sehr auf den Reifrock drücken würde und/oder daß es unter mehreren Röcken untenrum sowieso schon recht warm ist*. Außerdem haben Männermäntel Umlegekrägen, Frauenmäntel aber eher Kapuzen. Der fast bodenlange Radmantel mit einer oder mehreren Pelerinen, den man landläufig Kutschermantel nennt, kam erst sehr spät im 18. Jh. auf - für Männer.
Als Stoff eignet sich nur Mantelwolle oder Loden (d.h. möglichst gut gefilzte Wolle). Das Stoffgewicht sagt nur wenig aus: Relativ leichte, dicht gewebte und gut gefilzte Stoffe halten Kälte und Nässe oft leichter ab als schwere, aber weniger dichte, weniger stark gefilzte. Köper sind ungeeignet, weil sie diagonal zur Webrichtung sehr elastisch sind, und ein Viertel- oder Halbkreisförmig geschnittener Mantel hat nun mal viel Diagonale. Ein Mantel aus Köper würde also schon bald zipfeln. Beliebte und nachgewiesene Farben sind Schwarz, Grau, evtl. Braun oder Dunkelblau, bei Frauen auch Rot. Da weder auf Gemälden noch in Museen allzu viele Mäntel dokumentiert sind, ist es durchaus denkbar, daß es auch andere Farben gab, die nur eben nicht nachgewiesen sind. Es ist auffällig, daß von den wenigen erhaltenen Frauenmänteln die meisten rot sind. Man könnte nun meinen, daß vielleicht rote Mäntel eher als Frauenmäntel eingeordnet werden, andersfarbige eher als Männermäntel - wenn da nicht die unterschiedlichen Längen und die Kapuzen bzw. Umlegekrägen wären.
Wenn der Stoff so gut gefilzt ist, daß er nicht oder fast nicht franst, kann man die Kanten (auch den Saum) unversäubert lassen. Anderenfalls solltest Du bei den folgenden Maßen berücksichtigen, daß davon ca. 1 cm je Nahtkante bzw. bis zu 2 cm für die Saumversäuberung abgehen.
Einen Radmantel zuzuschneiden, ist keine große Kunst: Die Grundform ist ein Kreis. Das ist zwar noch nicht alles, aber es ist die Basis. Die Kunst ist, 1. den Mantel mit möglichst wenig Verschnitt auf den Stoff zu puzzeln und 2., den Halsausschnitt groß genug, aber nicht zu groß zu machen. Die Schwierigkeit, die ich hier rüberbringen muß, ist der Tatsache geschuldet, daß im Grunde alles zwischen Halbkreis und Vollkreis möglich ist, wobei jede Variante ihre Vor- und Nachteile hat. Ein wirklich kreisförmiger Mantel verbraucht sehr viel Stoff und ist dementsprechend schwer. Und teuer, denn ein guter Wollstoff kostet schon mal 30 € pro Meter. Für die meisten Zwecke reicht ein Dreiviertelkreis, während ein Halbkreis zwar möglich, aber eher knapp ist. Ordentlich kuschelig wird ein Mantel nämlich nur dann, wenn man die Vorderkanten übereinanderschlagen kann. Und das geht bei einem Halbkreismantel nur, wenn man den Halsausschnitt sehr weit macht und ihn dann kräftig einreiht, denn sonst wäre nicht genug Weite für die Schultern vorhanden. Wie stark man einreihen kann, hängt von der Dicke des Stoffes ab: Wer will schon einen dicken Wulst am Hals?
Der begrenzende Faktor für die Mantellänge ist die Stoffbreite, sofern man nicht stückelt - was im 18. Jh. gerade bei Mänteln absolut üblich war, aber halt mehr Arbeit ist. Dabei kommt aus einem 150 cm breiten Stoff kein 150 cm langer Mantel heraus, denn die Unterkante muß gleichmäßig weit vom Halsausschnitt entfernt sein. Und der Halsausschnitt muß größer sein als der Halsumfang, weil direkt darunter die Schultern sehr plötzlich mehr Weite brauchen. Der Halsauschnitt muß also eingereiht werden, außer vielleicht bei einem Vollkreismantel (habe ich noch nicht ausprobiert).
Nehmen wir an, der Halsausschnitt sei, wie der Mantel selbst, ein Dreiviertelkreis. Nehmen wir weiterhin an, der Hals habe einen Umfang von 40 cm. Der Umfang des Halsausschnittes sollte dann zwischen 60 und 80 cm betragen**. Wie war gleich wieder die Formel für den Kreisumfang? U=2r*pi? Wenn ich richtig gerechnet habe - was durchaus nicht sicher ist - dann müßte ein Dreiviertelkreis von 60 cm Kantenlänge knapp 13 cm Radius haben***. Nehmen wir jetzt noch an, der Stoff sei 150 cm breit; die allzu modernen Webkanten weggeschnitten, sind es nur noch 148. Daraus ergibt sich, daß die maximale Mantellänge 148-13 cm, also 135 cm beträgt. Für jemanden von 160 cm Größe wäre das bodenlang, für einem Mann von 190 würde es gerade so reichen.
Für eine/n erfahrene/n Schneider/in dürfte es kein Problem darstellen, einen Halbkreis und einen Viertelkreis auszuschneiden. Allen anderen empfehle ich, zuerst ein Papier-Schnittmuster im Form eines Viertelkreises herzustellen. Dazu brauchst Du ein Stück Papier von 150 cm im Quadrat. Wähle eine Ecke und male von dort aus zwei Viertelkreise, einen mit einem Radius von 13 cm und einen mit 148 cm (oder wie lang auch immer der Mantel plus Halsausschnitt werden soll). Schneide entlang dieser Viertelkreislinien aus. Falls Du nicht weißt, wie Du mit einem kleinen Zirkel Kreise mit so einem Radius zeichnen kannst: Denk an eine Nadel/Nagel, ein Stück Schnur und einen Bleistift.
Der Stoff wird vermutlich der Länge nach gefaltet sein. Breite ihn aus und falte ihn der Quer nach auf 150 cm Länge (oder wie lang auch immer der Mantel plus Halsausschnitt werden soll). Glätte die beiden Lagen so, daß zumindest an einer Seite die Webkanten aufeinander liegen (Stoffe sind selten 100% gerade). Lege den Viertelkreis-Papierschnitt parallel zur geraden Webkante auf und schneide so einen Halbkreis aus.
Da wir einen 3/4-Kreis ausschneiden, fehlt nun noch ein Viertelkreis. Die sparsamste Variante ist, den Stoff wieder auszubreiten und den Schnitt entlang der längeren der verbleibenden Webkanten auszulegen.
Jetzt fehlt natürlich noch der Kragen von ca. 50-55 cm Länge und ca. 20-25 cm Breite für Männer, bzw. für Frauen eine Kapuze von ca. 40x80 bis 50x100 cm. Mit etwas Glück springt das aus den Resten heraus, vielleicht mit etwas Stückeln.
Was, wenn der Mantel länger als 135 cm werden soll oder der Stoff schmaler als 150 cm ist? Nun, dann kann es kunstvoll werden. Ein solcher Fall ist in diesem Bild (rechts unten) dargestellt. Mach einen Papierschnitt wie oben beschrieben und schneide ihn parallel zu einer der geraden Kanten durch, in der Breite des Stoffes minus Webkanten. Das weggeschnittene Stück des Papierschnitts muß dann auf den restlichen Stoff aufgelegt werden, und zwar dreimal: zweimal für den im Stoffbruch zugeschnittenen Halbkreis und einmal für den Viertelkreis. Wenn der Stoff keinen Strich hat, kann man diese drei Stücke quer auflegen, so daß man nur dreimal diese zusätzliche Breite mehr Stoff kaufen muß.
Ist der Mantel fertig ausgeschnitten und zu einem 3/4-Kreis zusammengefügt, dann reiht man den Halsausschnitt ein, bis seine Weite in etwa der Halsweite des Trägers entspricht. Probiere ihn an. Wenn der Mantel vorn aufklafft, solltest Du den Haulsausschnitt vergrößern. Sei dabei vorsichtig: 5 mm weggeschnitten ergeben ca. 5 cm mehr Halsweite. Um den nunmehr weiteren Halsausschnitt auszugleichen, muß man stärker einreihen. Bei Männermänteln setzt man nun den Kragen an, bei Frauenmänteln die Kapuze, die so verfertigt wird, wie beim Mantelet beschrieben. Für einen feinen Frauenmantel kann die Kapuze z.B. mit Seide gefüttert werden, bevor man sie ansetzt.
Ist der Stoff gut verfilzt, kann man alle Kanten unversäubert lassen. Wenn nicht, solltest Du auf die Hals-Naht ein 1-2 cm breites Band aufsetzen, durch das du auch gleich ein schmaleres Band fädeln kannst, das mit Schleife als Verschluß dient.
Andere mögliche Verschlüsse sind entweder am Hals angenähte Bänder (wie beim Mantelet) oder eine Kombination von Haken und Kette. Zierliche Haken-Ösen-Kombis aus Zinn, wie sie des öfteren angeboten werden, habe ich bisher weder in der Literatur noch im Bild gesehen.
*) Wer das noch nicht ausprobiert hat, glaubt es vielleicht nicht, aber es stimmt. Unter zwei, drei fast bodenlangen Röcken bildet sich eine regelrechte Wärmeglocke. Das liegt daran, daß warme Luft nach oben steigt. Kaltluft kann nur von unten herein, aber da ist schon alles von Warmluft besetzt. Radmäntel funktionieren genauso.
**) Das ist nur eine Schätzung. Ich habe etwas experimentiert, aber nicht erschöpfend.
***) Wenn ein 3/4-Kreis 60 cm Umfang hat, dann hat der entprechende Vollkreis 80 cm Umfang (60 / 0,75). 80 durch pi gibt 25,46. Dividiert durch zwei 12,73. Aufgerundet 13 cm.
Wednesday, 24-Apr-2013 20:49:07 CEST