Auszäcken

 


Von den Landsknechtshosen des 16. bis zu den Sonnenschirmvolants des 19. Jahrhunderts kannte man eine Form des Stoffverzierung, die heutigen Schneidern Schauer über den Rücken jagt: Das Zerhauen und Auszäcken, auf englisch slashing bzw. pinking. Beim Zerhauen werden Schlitze und Löcher mitten in den Stoff gemacht - natürlich nicht irgendwie, sondern in einem schönen Muster. Im 18. Jh. wurde diese Technik nur noch selten und meist am Rand eines Volants angewendet.

Auszäcken hingegen war im 18. Jh. sehr beliebt, besonders in der Zeit um 1750-70, als die Kleider mit vielen Volants und Rüschen besetzt wurden. Auszäcken bedeutet, eine Stoffkante mit Hilfe eines Zäckeisens in Bögen oder Zacken zu schneiden. Das ist nicht nur dekorativ, sondern es hat auch noch einen praktischen Hintergrund: Ähnlich wie beim Ausschneiden mit einer Zickzackschere wird damit verhindert, daß der Stoff ausfranst. Normalerweise versäubert man den Stoff ja durch zweifaches Umschlagen, aber ein Volant mit zweifach umgeschlagener Kante, wie sieht das aus? Das gäbe eine schwere, steife Kante, und Volant kommt ja von frz. voler, fliegen. Ich werde oft ungläubig gefragt, ob ich die ausgezäckte Kante so unversäubert lasse - ja! Je nach Stoff (wie dicht er gewebt ist), franst es trotzdem oft ein bißchen, aber das sieht man an Originalen aus der Zeit auch. Übrigens wurde Auszäcken möglicherweise nur auf Seide angewendet. Die Ärmelvolants an einem Baumwollkleid der Pompadour haben rolierte Kanten.

Und wie geht Auszäcken nun?

In Diderot's Encyclopédie gibt es im Kapitel "L'Art du découpeur" Bilder von einer Frau, die gerade ein Band auszäckt, und von diversen Zäckeisen. Eines der Zäckeisen ist gerade und hat spitze Zähnchen, woraus ich schließe, daß eine Zickzackschere ein durchaus geeigneter Ersatz ist. Die meisten Zäckeisen aber - die die schönsten Kanten ergeben - sind viertel- bis halbkreisförmig und haben kleine Bögen.

Folgende Methode habe ich mir, mit ein paar Tips von Vorgängern, erarbeitet:

Das wichtigste ist ein harter, möglichst wenig schwingender Untergrund. Die Frau bei Diderot arbeitet zwar auf einem dicken Brett, das sie auf den Knien balanciert, was von der Sitzhaltung her sicher recht bequem ist, aber es ist alles andere als effizient. Man denke nur an das Gewicht des dicken Brettes, das die Hammerschläge aushält, ohne zu zerbrechen - und dann an die ständigen, wiederholten Schläge. Und das sollen die Knie der armen Frau den ganzen Tag aushalten? Da hat wohl der Künstler ein wenig geschönt.

Je stärker der Untergrund schwingt, desto mehr Hammerschläge braucht man, um mehrere Stofflagen zu durchschneiden. Für 8 Lagen Seidentaft habe ich auf Fliesen über Beton 7-8 Schläge gebraucht, auf Waschbetonplatten über Kies 5-6, und einer massiven Betonstufe mit Betonmauer drunter 2-3 Schläge. Bei mehreren Metern Volant kann das über Muskelkater oder nicht entscheiden. Das Beste ist also ein massiver Betonsockel, z.B. eine Treppenstufe oder ein Fundament, oder regelrechter Fels.

Als Unterlage dient ein Holzbrett und eine dicke Schicht Zeitungspapier. Früher war das wahrscheinlich eine Bleiplatte (Blei ist ja relativ weich) und/oder dickes Leder. Auf jeden Fall muß zwischen den betonharten Untergrund und das Zäckeisen etwas weiches, in das sich das Eisen beißen kann, wenn es duch den Stoff durch ist, damit es nicht gleich stumpf wird. Nun sagt man, daß man mit Stoffscheren kein Papier schneiden soll, weil sie sonst schneller stumpf werden. Ob das auch für Zäckeisen gilt, hat mir selbst der Hersteller meines Eisens nicht sagen können. Ich glaube aber, daß eine dicke Lage Zeitungspapier auf dem Holz von Vorteil ist.

Wenn das, was Du auszäcken willst, etwas kleinteiliges, kunstvolles ist (z.B. Ärmelvolants), solltest Du immer nur eine Lage auf einmal stanzen, bzw. nur die beiden jeweils gleichen Volants für den rechten und linken Ärmel zusammen. Geht es um ewas gerades wie einen breiten Quervolant für die Jupe oder einen Rüschenstreifen, dann ist es effizienter, den Stoff erst mehrfach zu falten und gleich durch mehrere Lagen (je nach Stoff 4-8) auf einmal zu stanzen. Achte darauf, daß alle Stofflagen wirklich gerade aufeinander liegen, besonders bei gemusterten Stoffen. Halte die Lagen in gewissen Abständen mit Stecknadeln zusammen, damit sie nicht auf halbem Weg verrutschen. Bedenke beim falten, daß das Eisen soundso oft vollständig in die Stoffbreite passen muß: Wenn Du am Faltenbruch nur noch das halbe Eisen auf den Stoff kriegst, kommt ein halber, spitziger Bogen raus. Wenn das Eisen klein (unter 3 cm breit) ist, der Stoff nachher stark eingereiht wird oder der Volant ganz unten am Rock sitzt, dann wird das nicht weiter auffallen. Fang mit dem Stanzen immer dort an, wo die meisten Stoffbrüche aufeinanderliegen.

Nun brauchst Du noch einen Hammer. Nimm einen richtig schweren Vorschlaghammer, das schont die Kräfte. Zäckeisen gerade aufsetzen, möglichst nicht verrutschen und so lange feste draufhauen, bis der Stoff durch ist. Um zu sehen, ob Du durch bist, halte das Eisen mit der sekundären, haltenden Hand fest an Ort und Stelle, leg den Hammer weg und zieh mit der primären Hand am Stoff auf der Rückseite des Eisens, also an dem Teil, der nachher in den Müll wandert. Wenn Du den "Müll" wegziehen kannst bzw. wenn er nur noch im Wortsinn am seidenen Faden hängt, bist Du durch. Wenn nicht, hau nochmal drauf und prüfe wieder. Mit der Zeit wirst Du spüren, wann Du durch bist.

Es passiert öfters mal, daß der Stoff noch an ein paar Fäden aneinander hängt. Macht nichts! Diese Kleinigkeiten erledigt man am besten später mit einer Nagelschere.

Und wo kriegt man das allerwichtigste - das Zäckeisen?

Möglicherweise - habe ich mal gehört - im Bedarf für Lederbearbeitung. Von den Informanten, die das prüfen wollten, habe ich aber keine Erfolgsmeldungen gehört. Sicher bekomt man es in den USA, wo diverse Reenactment-Versandhändler via Internet anbieten. Wenn Du im Internet suchen willst, ist "pinking tool" das Stichwort. Der billigste mir bekannte Anbieter ist Greenmanforge, der obendrein den Vorteil hat, daß er die Eisen individuell nach Kundenwunsch schmiedet, d.h. Du kannst die Breite bestimmen und ob der Bogen einen halben, Drittel- oder Viertelkreis beschreibt. Wenn Du nur die Breite angibst, macht er einen Halbkreis.

Laut Diderot gab es auch zickzackförmige Zäckeisen, d.h. zur Not kann man auch die gute alte Zickzackschere nehmen. Das sieht nicht ganz so gut aus wie die kleinen Bögen des Zäckeisens, und es kann sein, daß Du immer wieder mal erklären mußt, daß das auch wirklich authentisch ist. Neuerdings gibt es auch wieder Scheren, die Bögen schneiden, und zwar von Fiskars. Hierzulande erhältlich bei Gildebrief. Kontaktadressen findest Du auf der Bezugsquellenseite. Ob sie auf Dauer geeignet sind, muß noch eruiert werden.

Pflege des Zäckeisens

Wichtig ist, daß Du das Eisen nie auf einer Unterlage verwendest, die fast so hart oder gar härter ist als das Eisen, sonst wird es schnell stumpf. Feuchte Umgebung bekommt ihm auch nicht, denn dann rostet es - schon nach wenigen Stunden! Wie bei einem guten Messer solltest Du die Schnittkante immer wieder mal über einen Wetzstein ziehen, um den Grat aufzurichten. Das verhindert, daß das Eisen stumpf wird.

Und wenn es dann doch stumpf geworden ist? Du könntest versuchen, es zu einem Laden zu tragen, wo Scheren geschliffen werden, aber wegen der vielen kleinen Bögen habe ich Zweifel, ob die das können. Ich habe den Hersteller meines Eisens gefragt, und der empfiehlt kleine, speziell geformte keramische Schleifsteine, wie man sie zum Schärfen von Holzschnitzwerkzeugen verwendet. Ein Holzschnitzer sollte Dir sagen können, wo man die kriegt und wie man das Eisen schärft - und vielleicht weiß er auch einen guten Werkzeugschleifer, der sich des Zäckeisens annehmen kann. Wichtig sei, den Winkel der Schnittkante nicht zu verändern. Noch habe ich es nicht versucht, aber das kommt demnächst mal auf mich zu.


 

Wednesday, 24-Apr-2013 20:48:46 CEST