Modebilder aus Zeitschriften der Zeit sind wohl die verläßlichsten Quellen, da es ihnen speziell um die Mode geht - die Mode ihrer Zeit getreulich abzubilden, war ihr Sinn und Zweck. Natürlich übertreiben sie gewisse körperliche Merkmale, um dem Schönheitsideal zu entsprechen (z.B. unmöglich schmale Taillen), aber bei der Kleidung war künstlerische Freiheit nicht gefragt. Die ersten Modebilder tauchten im 16. Jh. in Form von Trachtenbüchern (z.B. Amman, Weigel) auf, aber die dienten mehr der Erbauung am Exotischen als der Information darüber, was gerade "in" war. Modebilder im engeren Sinn erschienen zuerst am Pariser Hof Ende des 17. Jh. und zeigten z.B., was die Marquise de XY beim Empfang im Palais Royal trug - ein bißchen wie heutige Klatschspalten. Das Publikum waren v.a. Angehörige des Hofes und Personen in dessen Umfeld, also der Hochadel. Die Druckauflage dürfte mithin recht gering gewesen sein, und so finden sich diese Modebilder heute fast ausschließlich in Museen und Bibliotheken.
Gegen Ende des 18. Jh. werden erstmals Modezeitschriften veröffentlicht, in denen namenlose, nicht reale Figuren die Mode präsentieren. Damit sind die vorgestellten Modelle nicht mehr nur das Produkt von Ideen bestimmter hochrangiger Persönlichkeiten, sondern mehr und mehr von Modedesignern. Diese Magazine hatten ein breiteres Publikum, das sich auch auf die wohlhabenderen Bürger erstreckte, sind aber ebenfalls recht selten auf dem Markt.
Um Mitte des 19. Jh. herum hat das Bürgertum so viel an Geld und Bildung (lesen zu können war ja noch nicht selbstverständlich) aufgeholt, daß Modezeitschriften in jedem Haushalt zu finden sind, der wohlhabend genug ist, daß die Dame des Hauses nicht arbeiten muß. Zeitschriften aus dieser Zeit und später sind heute noch halbwegs bezahlbar in Antiquariaten zu finden.
Für die früheren Epochen müssen wir und aber an Gemälde, Drucke und Skuplturen halten. Dem Künstler ging es dabei eher selten um die Kleidung, und oft genug malte der signierende Meister nur die Hände und das Gesicht eines Porträts, während die Kleidung ein spezialisierter Gewandmaler übernahm. Das soll uns aber weiter nicht stören, da ein spezialisierter Künstler die Kleidung sicher ganz besonders gut malte.
Es ist aber wichtig, im Hinterkopf zu behalten, daß ein guter Maler besonders auf Komposition achtete, also auf die Verteilung der Formen und Farben auf der Leinwand. Dabei hat jede Epoche und jeder Alte Meister eigene Vorstellungen davon, wie die ideale Komposition aussieht. Jedes Gemälde ist mehr oder minder gestellt, gekünstelt. Für den Kostümforscher ist wichtig zu wissen, daß die Farben, Formen, Körperhaltungen etc. der künstlerischen Freiheit unterliegen, in den Diesnt einer Botschaft gestellt wurden, und folglich nicht unreflektiert übernommen werden dürfen.
Ein Kostümforscher muß also sozusagen gewisse epochenspezifische
Merkmale herausfiltern. Dazu muß er zuerst einmal wissen, was für
die Malerei (oder Plastik) einer Epoche typisch ist, idealerweise auch die Macken
des Maler kennen und die Umstände, unter denen das Bild entstand. Ein Portrait,
für das der Gemalte zahlte, hat als Quelle einen anderen Stellenwert als
ein Bild, das der Maler ohne Auftrag malte.
Als Beispiel für verzerrende künstlerische Freiheit fällt mir zuerst Schmeichelei ein: Portraits waren eigentlich immer Auftragsarbeiten, und "Wes Brot ich eß', des Lied ich spiel": Der Herr hat eine Hakennase? Malen wir sie gerader. Oder die Taille schmaler, die Schultern breiter etc. Im Grunde gild das gleiche für Modebilder und sogar für moderne Modezeitschriften mit lebenden, fotografierten Modellen, die danach ausgesucht sind, daß sie dem gängigen Schönheitsideal entsprechen. Aber selbst wenn wir glaubten, daß dies alle Realität gewesen sei, ist das doch die harmloseste Falle, denn unseren Körperbau können wir nicht ändern, und wenn ein Stoff glänzender oder durchsichtiger dargestellt ist, als er wirklich war, dann wird uns die Auswahl in den Geschäften schon vor Übertreibungen bewahren.
Gefährlicher sind da schon die Abweichungen, die auf dem Schönheitsideal der Zeit beruhen und nicht so leicht als unrealistisch zuerkennen sind. Deshalb habe ich für jede auf dieser Site vorgestellte Epoche einen Artikel verfaßt, der die jeweiligen Merkmale herausstellt, sofern sie für die Kostümforschung interessant sind. Ich habe zwar stark gefiltert und nur glaubhaft wirkende Bilder in diese Site aufgenommen, aber daß die Bilder die Mode ihrer Zeit realistisch widerspiegeln, ist noch lange nicht sicher. Es folgen einige Dinge, die Du (unabhängig von der Epoche) in Betracht ziehen solltest.
Stilisierung und Idealisierung: Besonders die frühen Epochen, Mittelalter und Renaissance, waren noch starkt in ein ästhetisches uind religiöses Regelwerk eingebunden. viele Porträts dieser Zeit sind stark formalisiert. Aber auch in späteren Zeiten kann der Faltenwurf, die Figur oder Körperhaltung gewissen, formalisierten Regeln unterworfen sein - oder am mangelnden Können des Malers scheitern. Beispiel: Im 15./16. Jh. ging die Bevölkerung Europas nach Pestepidemien drastisch zurück; in der Folgezeit galten Frauen mit dicken (d.h. schwangeren) Bäuchen als schön.
Manche Epochen benutzen Licht und Farbe, um Stimmungen oder Tiefe darzustellen. Die Kleiderfarben sind also vielleicht reine Phantasie, ausgewählt, um mit etwas anderem zu kontrastieren. Das Bild der Arnolfinis weiter oben benutzt z.B. den Komplementärkontrast von Rot und Grün. Daß die Angehörigen der unteren Schichten eher langweilige Farben tragen, liegt vielleicht nicht daran, daß sie sich keine anderen Farben leisten konnten, sondern daran, daß der Maler die Ärmlichkeit ihres Lebens betonen wollte.
Wenn Du die Farben betrachtest, vergiß nicht, daß Reproduktionen nicht perfekt sind. Farben werden fast immer verzerrt, egal ob im Druck auf Hochglanzpapier oder auf dem Monitor. Dazu kommt, daß der Maler vielleicht minderwertige, wenig lichtechte Pigmente und/oder einen stark gilbenden Firnis verwendet hat. Wer kann da noch sagen, was die Originalfarbe war? Wenn Du Dir bei Farben sicher sein willst, mußt Du das Original anschauen, und selbst dann trickst Dich vielleicht der Firnis aus. Überhaupt spielt die Technik eine Rolle: Ölfarben kann man mischen und sanfte damit Farbübergänge erzielen, oder sie hart nebeneinandersetzen; Pastellkreiden erlauben keine Mischung. Eine Abbildung im Web wurde normalerweise gescannt, so daß die Farben mehrrfach verzerrt sind: durch Licht und Firnis, Foto oder Druck, Scannen und evtl. Nachbearbeitung und durch den Monitor.