Auch dieses Mieder ist ein Flohmarktfund, nach Angaben des Händlers "Biedermeier", aber der Begriff ist im Sprachgebrauch vieler Leute vom echten Biedermeier bis zum Ende des 19. Jh. dehnbar. Daß es sehr alt ist, ist jedenfalls sicher, da Fischbein ab Ende des 19. Jh. allmählich außer Gebrauch kam. Es war in einem so schlechten, zerschlissenen Zustand, daß es - zumindest für mich als Laien - unrestaurierbar war, ohne es völlig auseinanderzunehmen. Das habe ich denn auch getan und alles dokumentiert, was ich fand, so daß aus dem (weitgehend reversiblen) Zerstörungswerk trotzdem noch etwas Gutes erwächst.
(von außen nach innen)
Außerdem
Scan der textilen Materialien; Scan des Oberstoffs; Foto der metallenen Materialien
Abbildungen: Übersicht, vorn, hinten
Die äußerste Schicht besteht aus schwarzem, vielleicht gechintztem oder durch viel Gebrauch glänzend geriebenem Wollstoff, unterlegt mit einer Lage dunkelbraunen Leinens. Da schwarze Textilfarbstoffe oft mit der Zeit braun werden, mag die Unterlage einmal schwarz gewesen sein. Die beiden Schichten sind nicht zusammengenäht, haften aber (wohl aus Gewohnheit) aneinander. Die erste Schicht Rupfen ist daran mit naturfarbenem, dickem Leinengarn angeheftet. Die Stiche sind sehr lang, locker und über die gesamte Fläche verteilt.
Diese ersten drei Stofflagen sind zusammen verarbeitet. Nahtzugabe für Rupfen ca. 1 cm, sonst 2-3 cm. Nach Ausführen der Seiten- und Rückennaht wurden alle drei Schichten umgelegt und ca. 1mm neben der Naht mit dickem braunem Garn und nicht nach außen durchtretenden Handstichen anstaffiert, 6 mm daneben noch einmal mit schwarzem Garn durchsteppt. In den so entstandenen Tunneln stecken Fischbeinstäbe, je einer zu beiden Seiten der Rücken- und Seitennähte. Am unteren Rand wurden die äußersten zwei Schichten um die Kante des Rupfens geschlagen und eingeschnitten.
Der nächste Arbeitsgang muß gewesen sein, die Tunnel für die schmalen Fischbeinstäbe zu nähen. Sie sind in lang auseinandergezogenen, d. h. außen nicht ganz Ende an Ende treffenden Rückstichen mit dünnem schwarzem Garn ausgeführt. Am oberen Rand entlang sind das drei Tunnel nebeneinander, sonst zwei. Dekorative Stickerei, die normalerweise ebenfalls in dieser Phase ausgeführt würde, gibt es nicht.
Danach wurde die zweite Rupfenschicht aufgelegt, mit groben Stichen angeheftet und die Ränder der nun vier Schichten mit überwendlichen Stichen zusammengehalten. Dann wurde der obere Rand mit wollenem Nahtband versäubert, das außen mit feinem schwarzem, innen mit dickem rötlichem Garn befestigt ist. Gleiche Versäuberung an den Rändern der Träger. Am linken Vorderrand wurde statt Nahtband ein Streifen Futter angebracht. Erst danach wurde das Futter aufgelegt und auf dem Wollband befestigt.
Das Futter endet knapp vor den beiden Vorderrändern. Am Unterrand wurde es nach außen umgeschlagen und durch alle Schichten genäht - innen lange, außen sehr kurze Stiche. Seltsamerweise wurde die innere Kante des rechten Trägers für ca. 14 cm ab der hinteren Mitte ebenso versäubert, die gegenüberliegende jedoch mit Nahtband.
Die Geschnürhaken wurden durch alle Schichten zusammen mit halbgebleichtem
Leinengarn befestigt. Die drei Messinghaken sitzen direkt an der rechten vorderen
Kante (so, daß sie bis genau zur Kante reichen), mit dem gleichen Garn
angenäht. Ihnen gegenüber saßen ursprünglich drei großgliedrige
Ketten, knapp außerhalb der vorderen Mitte, in die die Haken eingehängt
wurden. Somit konnte die Weite des Mieders um ca. 6 cm variiert werden. Nur
eine der Ketten ist erhalten. Die hintere Mittelnaht ist mit dichten Hexenstichen
in dickem, schwarzem Garn bedeckt.
Schnittdiagramm
Erklärungen zum Diagramm: