Korsett ca. 1910-13


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Dieses Korsett habe ich vor einer Weile erworben und vermessen. Es ist zwar nicht das klassische Sanduhrkorsett, wie man es sich gemeinhin unter dem Stichwort "Korsett" vorstellt (aber das wäre auch nur für das späte 19. Jh. gültig, siehe "Eine kurze Geschichte des Korsetts"), aber in Schnitt und Technik so einfach, daß es sich bestens für die ersten Schritte in der Korsettschneiderei eignet. Durch den leichten Stoff und die schmalen Stäbe dürfte es auch für Anfänger im Korsetttragen recht angenehm sein. Und natürlich ist es für Fans der "Titanic"-Ära genau richtig.

Das Korsett

besteht aus einer einzigen Lage weißer (aber nicht schneeweißer) Baumwolle, deren Webdichte und Fadenstärke etwa der feiner Bettlaken entspricht. Die Taille - markiert durch ein innen aufgesetztes Taillenband aus 17 mm breitem weißem Twillband - liegt sehr hoch. Während bei Korsetts des späten 19. Jh. die Taille etwa in der Mitte zwischen Ober- und Unterkante oder gar darunter liegt, befindet sie sich ab ca. 1905 oberhalb der Mitte, weil die Korsetts bis weit über die Hüfte hinabreichen, aber unterhalb der Brust enden. D. h. die Taille des Korsetts ist nicht über die natürliche Taille hinauf-, sondern das Korsett insgesamt ist relativ zur natürlichen Taille hinabgerutscht. Dazu paßt, daß es regelrechte Körbchen für die Brust nicht gibt, also handelt es sich wahrscheinlich um ein Unterbrustkorsett, wie man es um 1910-13 trug. Auch die leichte Machart spricht für diese Datierung.

Bilder: Außenseite, Innenseite

Das Planchet ist 15 mm (pro Stab) breit, 27,5 cm lang, aus leicht angerostetem Stahl und mit weißem Leder ummantelt. Es hat fünf Nägel bzw. Ösen. Neben der Schnürung sind Stäbe, die wahrscheinlich aus Stahl sind. Die Stäbe im Hauptteil wurden bis auf zwei entfernt. Die beiden übrigen sind 5 mm breit und aus wahrscheinlich aus Fischbein. Sie sitzen in Tunneln, die aus Twill und einer Steifeinlage gefertigt und von innen aufgenäht wurden. Alle Nähte sind mit der Maschine gemacht.

Die Versäuberung der unteren Kante besteht aus einem 17 mm breiten Band aus sehr feinem, leicht glänzendem Twill, die der Oberkante aus einem 15 mm breiten aus atlasbindigem Gewebe. Entlang der Oberkante wurde außen eine 8 cm breite Klöppelspitze aufgelegt. Die Spitze ragt oben einige Millimeter über die Oberkante hinaus und wurde oben und unten mit langen Heftstichen befestigt. Ein weißes Band aus Seide oder Kunstseide ist durch die Spitze gezogen.

Die Schnürung ist höchstwahrscheinlich Original: Sie weist ebenso wie der Rest des Korsetts Rostflecken auf und die metallenen Endkappen (17 mm lang, 2mm Durchmesser) sind grau oxydiert. Das Band ist locker und schräg gewebt, so daß sich Breite und Länge durch Quer- bz.w Längszug verändern. Zieht man das Band bis zum Maximum in die Breite, ist es 4 cm breit, sonst 19 mm. Es ist etwa 4 Meter lang, eher etwas mehr, und hat die typischen Schnürschlaufen auf Höhe des Taillenbandes.

Detailscans:

Die Weite entlang des Taillenbandes beträgt 57 cm, entlang der Oberkante 80 cm und entlang der Unterkante 97 cm. Die Schnürlücke ist 3,5 cm breit, könnte aber nachträglich verändert worden sein. 2-5 cm wären ein normales Maß für eine Schnürlücke. Die ursprüngliche Eigentümerin dürfte also eine Unterbrustweite von 82-85 cm, eine Taillenweite von 59-62 cm und eine Hüftweite von 99-102 cm gehabt haben. Das alles sind Maße im eingeschnürten Zustand: Darüber, wie die natürlichen Maße der Eigentümerin waren, kann man nur spekulieren. Vermutlich waren sie zumindest in der Taille etwas größer, aber nicht um viel, also z.B. 65-67 cm Taillenweite.

Der Schnitt

Druckt man die vier Grafiken in voller Größe* auf A4-Papier aus und klebt die Teile an den Kleinbuchstaben zusammen, erhält man den originalgroßen Schnitt. Die Großbuchstaben sind Paßmarken zum Zusammensetzen der der Stoffteile. Der Fadenlauf im oberen Teil liegt parallel zu dem Fischbeintunnel, der durch den Punkt A verläuft. Schneide jedes Teil zweimal zu.

Die Technik

Die unteren Teile werden an der Kante A-B zusammengenäht, dann das obere Teil von C bis D oben darangesetzt.

An die Kanten E-C und F-D werden jeweils die Leisten angesetzt, die die Schnürösen bzw. das Planchet aufnehmen. Im Original sind beide aus einer Lage Korsettstoff und einem Twillband zusammengesetzt, so daß die Naht die Korsettkante bildet. Die Ösenkante ist 36,5 cm lang und 3 cm breit und hat zusätzlich eine steife Einlage. 17 Metallösen mit 3,5 mm Innendurchmesser sind im Abstand von 2 cm mittig eingeschlagen.

Die Leiste für das Planchet ist 35,5 cm lang, 2,5 cm breit und ebenso gearbeitet, aber ohne Einlage. Die Naht zwischen den beiden Lagen ist überall da aufgeschnitten, wo die Ösen des Planchets nach außen treten müssen. Lege die mit Nägeln besetzte Hälfte des Planchets in den Stoffbruch des fertig gefalteten Teiles, und zwar so, daß es etwa einen halben Zentimeter unterhalb der Oberkante beginnt. Markiere die Position der Nägel auf dem Stoff - oder bohre ihn gleich so an, daß Du die Nägel gerade eben so durch den Stoff drücken kannst. Lege das Planchet ein, bevor Du die Leisten annähst.

Lege ein Twillband (im Original 17 mm breit) an der Naht zwischen oberem und unteren Teilen entlang von innen auf und befestige es punktuell dort, wo gleich die Fischbeintunnel hinkommen. Die Tunnel sind ebenfalls aus Twill, aber nicht aus Band, sondern aus Stoffstreifen, deren Kanten um eine 2 cm breite steife Einlage geschlagen wurden. Diese Streifen werden von innen aufgelegt, einmal entlang der Mitte festgenäht (sehr genau nähen!) und dann noch einmal entlang jeder Kante, 8 mm von der Mittelnaht entfernt. Damit wird das Taillenband gleich mit befestigt, so daß die punktuelle Befestigung nun wieder entfernt werden kann.

In die Schnür- bzw. Planchetleiste werden weitere Tunnel gemacht. Da der Stoff hier bereits zweilagig ist, legst Du einfach nur eine Naht: In der Schnürkante ist der äußere Tunnel 9 mm breit, der innere 10 mm. Die Planchetleiste bekommt nur einen Tunnel von 10 mm Breite; der Rest wird vom Planchet ausgefüllt.

Nun kannst Du die Stäbe einschieben. Wie aus dem Schnitt ersichtlich, reichen die Stäbe nicht bis unten: Sie beginnen 5 mm unterhalb der Oberkante; am unteren Ende verhindert eine kleine Quernaht, daß der Stab weiter hinunterrutscht. Nur die beiden Stäbe in der Schnürösenkante reichen bis auf 10 mm an die Unterkante heran.

Versäubere die Ober- und Unterkante jeweils mit einem Band, das auch die Enden der Tunnelstreifen mitfaßt. Schlag die Schnürösen ein, falls noch nicht geschehen. Für die richtige Optik sorgt ein Beleg aus Spitze mit seidenem Durchzugsbändchen entlang der Oberkante.

Variationen

Die Maßangaben in der obigen Anleitung geben die Maße im Original wieder. Es wird nicht immer möglich sein, Fischbein in genau der richtigen bzw. in zweierlei Breiten aufzutreiben, ein Planchet der richtigen Breite und länge etc. In diesem Fall solltest Du Dich natürlich nicht sklavisch an die Maße halten, sondern die Tunnel breiter oder schmaler machen. Denke daran, daß ein breiteres Planchet eine breitere Leiste erfordert, so daß das Korsett insgesamt weiter würde. Die entsprechende Weite solltest Du entlang der Kante F-D wegnehmen.

 

*) Die Grafiken sind genau auf A4 zugeschnitten. Viele Programme wollen beim Ausdruck noch einen weißen Rand darum herumlegen und evtl. gar Kopf- und Fußzeilen einfügen, so daß die Grafik nicht in voller Größe gedruckt wird. Du darfst also auf keinen Fall direkt aus dem Brauser drucken. Lade die Datei herunter und öffne sie dann mit einem Grafikprogramm, bei dem man die Skalierung festlegen kann.