Letzten Sommer habe ich diese Kleid auf einem Flohmarkt gefunden. Es gibt keine Hinweise darauf, wie alt es ist, aber nach dem Schnitt und der Machart zu urteilen, schätze ich es auf 1910-15, als Kleider dieses Zuschnitts häufig waren.
Es gibt einige Hinweise, daß es sich um ein Hochzeitskleid handelt: das teure Material (Atlasseide), die Farbe (Wollweiß), die Sauberkeit eines selten getragenen Kleides im Kontrast mit vom Schweiß zerfressenen Achselpartien, also ob jemand darin genau einmal (beim Brauttanz?) ziemlich geschwitzt und es danach nie mehr getragen hätte...
Andererseits
hat eine Besucherin berechtigt darauf hingewiesen, daß Weiß eine beliebte Farbe
nicht nur für Brautkleider war, und Seidenkleider selten gewaschen wurden. Genau
wird sich wohl nicht mehr feststellen lassen, zu welchem Zweck dieses Kleid gedient
hat...
das Kleid angezogen, vorn
Eine von der Taille herabhängende Spitzengarnitur verdeckt den Schlitz
des Rockschlusses. etwa 15 cm über dem Saum umrundet eine Spitzenborte den Rock.
Die gleiche Spitze, entlang dem zickzack des Musters abgeschnitten, ist den Ärmeln
angesetzt. Eine anders gemusterte Spitze (Tüllapplikation) hängt aus den Ärmeln.
das Kleid angezogen, hinten
Ansicht von vorn
Drei
mit Spitze eingefaßte Falten auf der einen und eine einzelne Falte auf der anderen
Seite umschließen ein V, über einem ebenfalls mit (horizontalen) Falten dekorierten
Querstück. Die drei Falten wiederholen sich im schmalen Gürtel, dessen Druckknopfschluß
von einer großen Rosette verdeckt wird. In de unteren rechten Ecke sieht man,
wie der Schneider sich einen Dreck drum geschert hat, das Steifleinen zu verdecken.
Innenseite (44K)
Hier sieht man, wie die Seidenfalten auf ein mit Miederteil aufgesetzt
sind, das mit zwischen Futter (wahrscheinlich satinierte Baumwolle) und Oberstoff
gelegtem Fischbein gesteift ist. Insgesamt gibt es elf Fischbeinstäbe: An der
vorderen Mitte, an der zweiten Falte, an den Seitennähten (diese in Stofftunneln
und von innen aufgesetzt), zwei entlang Nähten hinten seitlich, und einer in der
hinteren Mitte. das Miederteil schließt mit einer Reihe von Haken und Ösen. Zwei
weitere Haken zur Befestigunng des Unterrocks sind dem Taillenband aufgenäht.
Die Reihe Druckköpfe am unteren Bildrand schließt den Rockschlitz.
Detail der rechten Seite von außen
Der untere und äußere Rand des Querriegels
sind am Mieder festgenäht. Die obere rechte Ecke ist am Chiffonfutter des Spitzendekolletés
angeheftet, das wiederum am Mieder angenäht ist. Die Seide ist nur locker am Mieder
angeheftet.
Detail der rechten Seite von innen
Der Querriegel besteht aus dem gleichen Steifleinengrund
wie der Gürtel. Seine Außenseite, der Rand des Chiffonfutters vom Riegel bis zum
Kragen, und die Rosette (die auf dem Oberstoff befestigt ist) ist mit Druckknöpfen
besetzt.
Detail der linken Seite von außen
Der Rand des Miederteils ist mit den Gegenstücken zu den Druckknöpfen
auf dem Chiffon besetzt. Die Innenseite der ersten Falte hat zwei Druckknöpfe
zur Befestigung am Querriegel. Die beiden Knöpfe unten im Bild schließen den Rockschhlitz,
der etwas links der Mitte sitzt.
Detail des Spitzendekolletés
Der Kragenrand ist mit schwarz verfärbter Silberborte
besetzt. Der rechte Rand ist offenbar Chinoiserie: Das Muster ähnelt dem chinesischen
Schriftzeichen für "Rad", che.
Detail der Nähte und Fischbeinstäbe
Eine mit Schrägband versäuberte Seitennaht
und eine hintere Naht. Ein Bein ist an der Naht nit einer durch eine Metallöse
geführte Fliege befestigt, das andere zwischen die Stofflagen gelegt. Darauf ist
das Taillenband mit Kreuzstichen befestigt.
Detail des Saums
Oben sieht man die mit einem Schrägstreifen des Oberstoffs versäuberte
Innenseite. Darauf ist Besenborte gesetzt, um das feine Material vor Abrieb und
Straßenschmutz zu schützen. Unten der Saum von außen.