Herstellung einer Taille

Teil 2: Probestück und Anprobe

 

Schneide alles bis auf das Kleinzeug aus Probestoff mit ordentlich Nachtzugabe und hefte die Teile (noch ohne Ärmel) lose zusammen. Hefte auch die Abnäher im Vorderteil. Laß Dich ins Korsett schnüren, lege die Tournüre an und zieh dann das Probeteil mit nach außen gewendeten Nahtzugaben über. Laß die Zugaben der Vorderkanten umlegen und so feststecken, daß sie Kante auf Kante treffen. Nun muß der Helfer den glatten Sitz überprüfen und ggf. die Nähte enger oder weiter stecken.

Rücken- und Vorderteil werden getrennt betrachtet. Hinten ist vor allem wichtig, daß der Schoß der Taille glatt und ohne Querfalte entlang der Taille über der Tournüre liegt. Die Naht zwischen Rücken- und Seitenteil darf am Armloch nicht beuteln.

Das Vorderteil ist anspruchsvoller, da die Weitenunterschiede zwischen Oberweite, Taille und Hüfte hauptsächlich hier ausgeglichen werden müssen. Die Möglichkeiten, wie die Vorderseite schlecht sitzen kann, sind so vielfältig, daß ich sie gar nicht alle berücksichtigen kann. Deshalb ist ein Helfer mit Erfahrung von Vorteil.

Zeitgenössische Schnitte hatten meist gekurvte Vorderkanten, während moderne Adaptionen wie die von Truly Victorian mit geraden Vorderkanten arbeiten – vielleicht, weil viele sich heute nicht mehr so eng schnüren können oder wollen wie man es damals tat. Es spielt aber auch die Tatsache eine Rolle, daß selbst die modernen Löffelplanchets eher gerade sind: Sie drücken den Bauch weg, während zeigenössische Modelle dem Unterbauch Platz ließen. Selbst zu Küraßzeiten, als die Taillen über dem Bauch glatt anlagen, galt ein leicht vorgewölbter Bauch als durchaus ästhetisch, wie Madame Lévy es hier rechts illustriert.

Gehen wir von einem geraden Planchet aus, dann sollte die Taillenweite ausgeglichen werden, indem man die beiden Abnäher tiefer oder flacher macht. Wäre diese Abänderung zu extrem, kann man einen Teil der Weite auch in den Seitennähten ausgleichen. Man könnte auch die Vorderkante in die Kurve legen, aber das erschwert später das versäubern. Hat man das Glück, daß das Planchet den Unterbauch nicht wegdrückt, ist so eine Kurve allerdings anzuraten.

Ist das Vorderteil insgesamt zu weit oder zu eng, gibt man an der Vorderkante gleichmäßig zu oder nimmt weg und justiert dann die Abnäher, falls nötig.

Vor allem bei Truly-Victorian-Schnitten kann es sein, daß der Bereich oberhalb der Brust regelrecht beutelt. Um das Vernünftig auszugleichen, muß man den gesamten oberen Bereich so völlig umgestalten. Laß die Schulternaht auftrennen und den Stoff glatt nach oben streichen. Wahrscheinlich (ich habe es noch nicht probiert) rückt dadurch die Schulterpartie nach innen, so daß der Halsausschnitt neu markiert werden muß. Die vordere Mitte verschiebt sich natürlich auch, vor allem aber das Armloch. Da bei Truly Victorian die Schulterpartie sowieso viel zu weit auf den Arm hinunter kippt, dürfte das kein Problem sein. Wenn die Schulterpartie neu gesteckt wird, sollte die Schulternaht wieder, wie es sich gehört, leicht hinter dem Zenith der Schulter sitzen.

Laß die Taillenlinie an allen Schnitteilen markieren. Übertrage diese Markierungen auch auf den endgültigen Zuschnitt.

Ist das alles geklärt, laß die Ärmel anstecken. Wenn Du einen Truly-Victorian-Schnitt verwendet hast, wird der Ärmel wahrscheinlich um einige Kilometer zu weit sein. Bei meinem Schnitt mußte ich vom Ärmel am oberen Ende um ca. 6 cm und am unteren um ca. 4 cm weg-stecken und obendrein die Ärmelkugel um ca. 5-6 cm abflachen. Die Schulter kippt bei den TV-Schnitten, wie gesagt, zu weit auf den Arm hinunter, so daß man für die meisten Figuren obenherum ca. 3-4 cm der Schulterbreite wegschneiden muß. Schneide von dort aus allmählich auf das ursprüngliche Armloch zu, so daß es untenherum wieder auf die originale Schnittlinie trifft. Trotz dieser Änderungen (also leicht erweitertes Armloch und deutlich verengter Ärmel), mußte ich letzten Endes die Ärmelkugel leicht einreihen, was nicht besonders schlimm ist, aber ein glatt eingesetzter Ärmel wäre mir lieber gewesen. Erst ab den späten 1880ern muß man die Ärmelkugel merklich einreihen.

Wenn alle Änderungen angezeichnet und/oder gesteckt sind, zieh alles wieder aus und übertrage die Änderungen auf den Papierschnitt. Nach diesem neuen Schnitt schneidest Du Futter und Oberstoff aus. Falls Du die Taille mit Haken und Ösen verschließen willst, kannst du den Schnitt so lassen. Für einen Knopfschluß mußt Du der Vorderkante noch etwas für den Übertritt zugeben.

 

Teil 3: Zusammensetzen