Die hier beschriebene Taille war ein Fund in einem Londoner Antiquitätenladen, der manchmal Klamotten aus viktorianischer und edwardianischer Zeit führt. Die riesigen Keulenärmel machen eine Datierung auf 1894-97 leicht.
Die Taille ist aus schwarzem Rips - wahrscheinlich Seide - mit samtartigen, 8-10 mm breiten Streifen hergestellt. Der Ärmelstoff (oben links) ist ein wenig anders als der für den Rest verwendete, indem die Samtstreifen noch je einen Satinstreifen zum Nachbarn haben. Oben rechts ist ein Stück des Spitzenkragens zu sehen.
Die Taille reicht kaum bis unter die - genau, die Taille. Sie wird vorn mit Haken geschlossen, die in mit Knopflochseide umstochene Löcher auf der rechten Seite gehakt werden. Der untere Rand hat vorn wie hinten eine Spitze (Schneppe). Schwarze Maschinenspitze ist um den Halsausschnitt drapiert, bedeckt die gesamte Schulterbreite und ist zur vorderen Mitte hin in waagerechte Falten gelegt. Die Tatsache, daß es einen Ausschnitt statt des sonst üblichen Stehkragens gibt, deutet darauf hin, daß die Taille zu festlichen Anlässen wie Soireen und Bällen getragen wurde. Andererseits hatten solche Gesellschaftskleider normalerweise kurze Ärmel - aber es gibt keine Hinweise, daß der Stehkragen später entfernt wurde. Möglicherweise wurde ein eigenständiger Kragen draunter getragen.
Die hintere Mitte ist mit einem Gehänge von Jettperlen verziert: von einem großen, runden und in Faetten geschliffenen Stück Jett hängen Perlenschnüre herab. (Die Farben sind in dem Bild etwas daneben - tatsächlich ist alles schwarz. Allerdings ist der Stoff ein wenig Richtung Dunkelbraun ausgebleicht. Die Bildbearbeitung hat das nur mehr betont als es in Wirklichkeit der Fall ist.)
Das Futter besteht aus gestreiftem Baumwolltwill - ungewöhnlich schwerer Stoff für Futter. Wie bei vielen Kleidungsstücken jener Zeit wurden Futter und Oberstoff zusammen verarbeitet, d.h. die Nähte gehen durch beide Lagen. Das Ärmelfutter ist eng, d.h. die Keule ist nur aus Oberstoff. Jede Nahr und jeder Abnäher waren im unteren Breich mit Fischein gesteift, aber das Bein ist bis auf einen Abnäher und dieVorderkanten entfernt worden. echtes Fischbein war damals schon wertvoll.
Eine detailliertere Ansicht der Innenseite des linken Vorderteils zeigt einen einzelnen Fischbeinstab, wie er aus der Tafthülle ragt. Die Nahtzugaben sind recht grob von Hand versäubert (die Nähte sind sämtlich mit der Maschine genäht). Die Ösen an der Vorderkante (rechts im Bild) sind mit einem Taftband abgedeckt, das links der Löcher befestigt und um Rand hin lose ist. es sollte wohl das Korsett vor Abrieb durch die Haken schützen. Taftband wurde auch verwendet, um den Saum zu versäubern (unten links in Bild).
Auf der Außenseite des linken Vorderteils kann mn die Ösen sehen. Die Vorderkante ist kurvig, damit sie der Linie des Korsetts folgen kann. Die Taillenlinie ist recht hoch, also muß die Trägerin eher klein gewesen sein, vielleicht 150 cm. (Bei mir mit 162 liegt die Taille eine Handbreit höher.)
Auf der Außenseite des rechten Vorderteils sitzen recht große Haken, etwa 2 cm außeinander, auf einem Taftband, das die Vorderkante versäubert. Das weiße Band mit schwarzen Rändern, das sich unten recht windet, gehört zu einer Fischbeinhülle. Es war wohl zusammen mit dem Bein in die Hülle gesteckt worden, vielleicht als zusätzlicher Schutz.
Ein genauer Blick auf die Schneppe vorn zeigt, wie das schwarze Taftband aufgenäht und die Haken an drei Stellen befestigt wurden. Das schwarzgerandete weiße Band schaut durch einen Riß in der Beinhülle. Direkt an der Vorderkante ist einer der Samtstreifen umgeschlagen worden und enthüllt an den abgewetzten Stellen die ins Braune verbleichte Basis des Stoffes. Viele Schwarze Textilien - vor allem Nähgarne - sind mit der Zeit zu Braun verbleicht, wenn die Farbe nicht sehr hochwetig war. Irgendwo habe ich mal gelesen, daß Schwarz in der Mode deswegen als edel gilt, weil es früher sehr schwer und teuer war, ein richtig schwarzes und bleibendes Schwarz zu färben.
Und schließlich eine Nahaufnahme des des einen erhalenen, sichtbaren Fischbeinstabes. (Ich werde werde den Teufel tun und die beiden an den Vorderkanten ausgraben.) Es handelt sich offenbar um echtes Fischbein, also eigentlich Walbarte - ein Material, das zur Zeit der Herstellung dieser Taille bereits kostbar war, da Bartenwale durch die Epochen der Korsetts und Reifröcke schon ziemlich dezimiert waren. Daher kommt es auch, daß bei so vielen erhaltenen Kleidungsstücken das Bein fehlt: Recycling wurde eben doch schon vor den 1980ern praktiziert. Daher ist es auh so schwer, ein Exemplar echten Fischbeins zu Gesicht zu bekommen.
Taille | 64 cm |
Oberweite | 92 cm |
Schulterbreite | c. 10 cm |
Rückenbreite | c. 28.5 cm |
Hals -> Taille | 32 cm |
Schulter -> Brust | 24 cm |
NB: Bei diesen großen Ärmeln und Halsausschnitt ist es schwierig, Schulter- und Rückenbreite festzustellen.