INDEX	1300-1599	17. JH	18. JH	19. JH	20. JH	ÜBERGREIFEND	ETHNO
	VERMISCHTES	PROJEKTBLOG	FLOHMARKT			KONTAKT	SUCHE

Anatomie einer 1880er Taille

Hintergrund

Es ist schwierig, dieses Teil zu datieren oder den Zweck festzustellen. Die korsettgeformte Linie und der Stehkragen deuten auf das späte 19. Jh. hin, aber eine genauere Datierung kann nur über das Ausschließen des Unwahrscheinlichen erfolgen. Das Schößchen deutet auf die Ära der Tournüren, läßt aber nicht genug Platz für eine große Tournüre. Das läßt uns die Zeit der frühen 1870er oder mittleren 1880er, und bei meinem Glück ist es wohl kaum die frühere Epoche.

Was den Verwendungszweck betrifft, deutn die Jettperlen und die kurzen Ärmel auf eine Abendtaille hin. Abend- und Balltaillen wurden aber gewöhnlich mit Décolleté geschneidert. Einige Merkmale deuten auf spätere Änderungen und starke Abnutzung hin, so daß dies eine Taille der 1870er mit Änderungen aus den 1890ern sein könnte. Jettperlen waren in den 90ern sehr in Mode. Die Ärmel und Ornamente könnten leicht später hinzugefügt worden sein. Sicher ist, daß eine Taille mit kurzen Ärmeln nicht als Tageskleidung diente.

Beschreibung

Linke Seite, auseinandergenommen
Rechte Seite, ganz

Der Stoff ist schwarze Rips-Seide mit schmalen Satinstreifen, die 2 mm breit sind und 7 mm auseinanderliegen. Die beiden hinteren Seitenteile bestehen aus einfachem Rips, ohne Streifen, und sin rechteckig, 7,5 cm breit und haben Webkanten auf beiden Seiten, d.h. es handelt sich um Stücke von Ripsbändern. Dies ist der wichtigste Hinweis auf eine spätere Änderung. es gibt weder Futter noch Fischbeinversteifung, aber entlang der Armlöcher und des Kragens finden sich reste von Taft, sowie dickes Garn entlang der Nähte, wie es zum befestigen von Bein verwendet wurde. Beides wurde wohl im Zuge der Änderungen herausgeommen.

Ärmel
Detail eines Ärmels

Die Ärmel sind das Interessanteste. Sie bestehen aus Halbkreisen eines Gitterstoffes, der über und über mit Jettperlen bestickt wurde. An vielen Stellen hat das Gewicht der Perlen den mürben Stoff zerrissen, und viele Perlen sind abgefallen. Es scheint, daß sie Blüten darstellen, die in von der Schulter abwärts führenden Streifen angeordnet sind. Am unteren Ärmelrand, der mit schwarzem Leinen verstärkt ist, sind 7 cm lange Perlenfransen angebracht, die in Schlaufen enden. Die Ärmel sind nur hinten, über die Schulter und vorn befestigt, nicht aber unter dem Arm.

Innenseite des Kragens

Der Kragen wird vorn mit einem Haklen geschlossen, der unter einer Art Brosche versteckt ist. Diese ist knochenförmig undaus steifem Material, das mit Atlasseide bezogen ist und mit Jettperlen bestickt ist. Sie könnte nachträglich hinzugefügt worden sein. Der Kragen ist auf einer Unterlage aus Steifleinen mit Rips belegt, der ein Satinmuster aus Punkten und Seilen (?) aufweist. Darauf ist schwarze Spitze gesetzt, deren gezackter Rand nach oben weist. Auf beiden Seiten der hinteren Mitte ist sie in vierfache Falten gelegt, und die Zacken überragen den Kragen weiter als vorn. Auf der Spitze wiederum sitzt ein Ripsband mit Satinstreifen längs des Randes. In der hinteren Mitte sind die Zacken der Spitze über dieses Band nach unten gebogen und mit wenigen Stichen darauf festgeheftet. Der Kragen ist mit schwarzem Taft gefüttert; wahrscheinlich das einzige, was vom ursprünglichen Futter geblieben ist.

Abnäher

Die Nähte der Brustabnäher haben wohl der Belastung nicht standgehalten und wurden mit der Maschine durch mehrfaches hin- und her-Übernähen gestopft. Das linke Vorderteil wurde außerdem noch an zwei Stellen mit lockeren Hexenstichen repariert, wo der Stoff horizontal gerissen war. Es hat sich offenbar um ein in Ehren gehaltenes Kleidungsstück gehandelt, sonst wäre es nicht so oft geändert und repariert worden. Daß es mit all seinen Perlen und der Spitze in die Kleidersammlung gegeben und dann von Armen aufgetragen wurde, ist unwahrscheinlich. Auf das rechter Vorderteil ist vom Kragen bis Brusthöhe Spitze aufgesetzt.

Spitze

Der Saum ist mit Spitze des gleichen Musters wie am Kragen besetzt. Sie verläuft, alle 2-5 cm leicht gereiht, von der vorderen Mitte abwärts, um der Schneppe zu folgen. Zur hinteren Mitte hin ist sie immer stärker gereiht und wandert an der hinteren Mitte hoch und wieder runter.

Detail des Vorderrandes

Saum und Vorderrand sind mit Steifleinen verstärkt. In der vorderen Mitte ist ein Hakenverschluß eingerichtet. An manchen Stellen hängen noch winzige Reste des Futters, das wohl über den Haken und Ösen angebracht war.

Blumenornament
Ornament und Brosche

Die hinteren Seitennähte, wo der originale, gestreifte Stoff aus die Einsätze aus Ripsband trifft, sind leidlich versteckt unter blumenförmigen Ornamenten aus Jettperlen, die auf eine Doppelschnur aufgearbeitet sind. Sie sind vielleicht passend zu den Ärmeln fertig gekauft worden, um die Änderung zu verdecken.

Maße