Strümpfe des 18. Jahrhunderts

 

Strümpfe gehören zu jenen Kleidungsstücken, die sich der Nachforschung weitgehend entziehen: Es wurde selten über sie geschrieben und es gibt kaum erhaltene Stücke in Museen. Zumindest bei Männern sind sie oft genug auf Bildern zu sehen, aber das erlaubt leider noch keine Rückschlüsse auf Material und Technik.

"Strümpffe,
Seynd ein Überzug der Füsse, von Wolle, Zwirn, Garn, Seide, Bieber-Haaren oder Castor und Baum-Wolle gewebet, gewalcket, genehet oder gestricket, manchmahl mit gold und silbernen Zwickeln gezieret; zur Sommers-Zeit träget das Frauenzimmer auch dergleichen von Leder, wider den Mücken-Stich."
(Frauenzimmer-Lexicon, 1715)

Neben den vertrauten Strickstrümpfen gab es also auch solche aus gewebtem Stoff, Filz oder Leder. Zwar waren Stricken und verwandte Techniken schon seit Jahrhunderten bekannt*, aber für Strümpfe scheint gewebtes - also nicht dehnbares - Material zuerst verwendet worden zu sein. Das scheint verwunderlich, da Gestrick durch seine Dehnbarkeit doch so geeignet für enganliegende Strümpfe ist, während genähte Strümpfe dazu neigen, Falten zu werfen und womöglich Reibstellen verursachen. Eine mögliche Erklärung ist die, daß es leichter ist, dünne Stoffe zu weben als (aus sehr dünnem Garn und mit sehr kleinen Maschen) ebenso dünne Strümpfe zu stricken. Strümpfe in der Dicke von Skisocken waren der Mode nicht fein genug, während feine Strickstrümpfe, der damit verbundenen mühsamen Handarbeit wegen, sehr teuer waren - aber wahrscheinlich kaum länger hielten als heutige Nylons, wenn man die damaligen Waschmethoden bedenkt.

Schon relativ früh im 18. Jh. gab es Handwirkstühle; 1769 wurde eine mechanische Wirkmaschine patentiert, die die schnelle Herstellung feiner Strickstrümpfe ermöglichte. Der Unterschied zwischen Stricken und Wirken besteht darin, daß beim Wirken alle Maschen einer Reihe auf einmal gebildet werden und nicht, wie beim Handstricken, eine nach der anderen**. Das Ergebnis sieht aber gleich aus. Die maschinell hergestellten Strümpfe waren weitaus billiger als handgestrickte und folglich einem größeren Bevölkerungskreis zugänglich. So wurde die weite Verbreitung von Baumwoll- und Seidenstrickstrümpfen möglich.

Ein aus nicht oder kaum dehnbarem Material genähter Strumpf kann natürlich unmöglich ohne Nähte aus einem Stück gefertigt werden, wie es bei heutigen Strickstrümpfen der Fall ist. Er bestand aus zwei Teilen: Der größere bildete den Schaft, die Ferse und den oberen Teil des Fußes, der kleinere die Sohle. Die Skizze rechts (durch Anklicken vergrößerbar) gibt eine Idee davon, wie die Teile geformt sind. Die gepunktete Linie zeigt, wo die Naht verläuft: In der hinteren Mitte des Beines bis unter die Ferse. Für eine bessere Paßform wurde dort, wo im größeren Teil die Schlitze für die Ferse eingezeichnet sind, ein Zwickel eingesetzt, der bis über den Knöchel hinaufzureichen pflegte. Man verzierte ihn gern mit Stickerei (siehe obiges Zitat) und manchmal hatte er eine völlig andere Farbe als der Rest des Strumpfes. Mitunter wurde hier auch eine Schnürung eingesetzt, damit der Strumpf eng am Knöchel anliegen kann, denn bei nicht dehnbarem Stoff ist diese Stelle zu eng, als daß der Fuß hindurchpaßt.

Auch gestrickte Strümpfe haben hinten eine Naht, wobei sich die Frage stellt, ob man diese quasi aus Traditionsgründen durch entsprechende Maschen simuliert hat (wie es für das 19. Jh. nachgewiesen ist) oder ob auch Strickstrümpfe in der oben genannten Form flach gestrickt und dann zusammengenäht wurden. Selbst heute gibt es Nylonstrümpfe mit (Pseudo-) Naht, obwohl das technisch schon längst nicht mehr nötig ist. Daß mit Nadelspielen rundgestrickt wurde, ist durch entsprechende Abbildungen erwiesen. Und was sollte man rund stricken, wenn nicht Strümpfe und Armstutzen? Rein technisch hätte man also Strümpfe ohne Naht stricken können.

Kürzlich sah ich bei einer Ausstellung im Bayerischen Nationalmuseum an einer Figurine Strümpfe (Bild links), an denen man sehr schön einen Zwickel erkennen kann, der quer zu den restlichen Maschen gestrickt ist, aber viel höher als bei modernen Strümpfen. Strickt man die Strümpfe flach und formt die Sohle so, daß sie am geraden Rand (zur Ferse hin) sehr breit wird, dann müßte das Ergebnis so aussehen. Auch beim Rundstricken ist das möglich, wenn man die bis ins 20. Jh. übliche Fersenkäppchen-Methode entsprechend abwandelt. Wahrscheinlich existierten die Rund- und Flachstrick-Methoden eine Zeitlang parallel, von mindestens Mitte des 18. Jh. bis ins 19. Jh. hinein.

Wie auch immer man das im 18. Jh. nun gemacht hat: Für diejenigen unter uns, die des Strickens nicht mächtig sind, haben flachgestrickte Strümpfe den Vorteil, daß wir solche auch aus fertigem Trikot wie z.B. T-Shirt-Stoff nähen können.

Einen Schnitt zu liefern, wäre ebenso sinnlos wie unnötig: Ein Schitt wird schwerlich allen passen, aber einen selbst zu entwerfen, ist denkbar einfach. Dazu kommt, daß der Schnitt je nach der Dehnbarkeit des Materials variiert werden muß: Je dehnbarer das Material, desto enger muß der Zuschnitt sein, damit der Strumpf schön eng anliegt, ohne allzu sehr zu rutschen oder Falten zu werfen. Du wirst also mit Deinem jeweiligen Material experimentieren müssen.

Nimm das Bild rechts als Vorlage und laß Dir nach Möglichkeit die Maße von jemand anderem abnehmen, während Du aufrecht stehst: Bücken verzerrt die Maße ein wenig. Alle eingezeichneten Maße (mit Ausnahme natürlich der Fußlänge A'+B) sind Unfangsmaße. Um daraus einen Schnitt abzuleiten, brauchst du zusätzlich für jedes Umfangsmaß den jeweiligen Abstand vom Boden.

Bis wohin der Strumpf reichen soll (Maß F), ist Geschmackssache; sicher ist, daß er deutlich bis über das Knie reiche sollte. V.a. vor 1750 sieht man des öfteren bei Männern, daß der Strumpf über der Culotte bis übers Knie gezogen und wieder nach unten gefaltet wurde, d.h. er muß etwa zwei Handbreit über dem Knie geendet haben. Bei Frauen dürfte es ebenso gewesen sein.

Male auf ein großes Blatt Papier eine Linie, die die Länge des Strumpfes und gleichzeitig den Stoffbruch darstellt. Miß von unten her die Fußlänge B darauf ab und markiere sie. Miß von dort aus waagerecht ein Viertel von Maß A ab. Dort endet der Schlitz zwischen oberem Fußteil und Fersenteil. Miß von dort wieder A/4 nach unten und um das Maß A' waagerecht nach außen. Damit hast Du Länge und Breite des Fersenteils.

Dann trägst Du die verschiedenen Abstände der Bein-Umfangsmaße vom Boden auf der senkrechten Linie ein. In der Skizze sieht es zwar so aus, als entspräche das untere Ende der Ferse der Bodenlinie, aber das stimmt nicht ganz: Der Fersenteil biegt sich ja um die Ferse herum. Die eigentliche Bodenlinie liegt also ca. 2-3 cm oberhalb. Geh von jeder Markierung waagerecht auswärts und trage das zugehörige halbe Umfangsmaß ein. Die so markierten Punkte müssen nun durch Kurven verbunden werden, um die Außenlinie des Schnittes zu erhalten. Orientiere Dich dabei an der Skizze oben.

Das Ergebnis ist aber erst der Rohschnitt – man kann ihn nicht exakt so benutzen, wie er daliegt. Macht man die Strümpfe aus gewebtem Stoff, dann sind die Maße schon ganz richtig, aber Achtung: Das Maß E ist kleiner als die Wade D, aber wenn man den Strumpf anziehen will, muß die Wade hindurchpassen. Man darf den Strumpf an dieser Stelle also nicht enger schneiden als das Maß D. Auch bei der schmalsten Stelle am Knöchel muß man sicherstellen, daß der Fuß hindurchpaßt. Einen Strumpf aus gewebtem Stoff sollte man im schrägen Fadenlauf zuschneiden, damit er wenigstens ein bißchen nachgibt.

Macht man den Strumpf aus Wirkware oder strickt selbst, dann darf E enger sein, aber eben nur so weit, wie sich der Stoff dort ausreichend dehnt. Vor allem aber muß man herausfinden, um wieviel Prozent sich der Stoff dehnen läßt. Nimm nicht die maximale Dehnung, denn der Strumpf soll ja später nur anliegen, nicht spannen. Außerdem führt eine allzu starke Querdehnung dazu, daß sich die Länge verkürzt, was den gesamten Strumpf verzerren würde. Um die Prozentzahl, um die sich das gestrick dehnen läßt, müssen die waagerecht abgetragenen Maße des Schnittes verkleinert werden. Die Maschen des Gestricks verlaufen entlang des Stoffbruchs.

Für die Sohle habe ich in der Skizze zwei Alternativen gezeichnet: Links die einfache Variante, die Du für den ersten Versuch benutzen solltest. Rechts die Variante mit Zwickel, für die man den Fersenschlitz verlängern muß.

Das Zusammennähen dürfte keiner weiteren Erläuterungen bedürfen. Was das Tragen betrifft: Natürlich werden die Strümpfe rutschen, egal, wie gut sie anliegen oder woraus sie gemacht sind. Deshalb müssen sie durch ein Strumpfband gehalten werden – auch bei Männern. Das kann ein Stück gewebtes Band sein, das zu einer Schleife gebunden wird, oder ein Lederriemen mit Schnalle. Es gab v.a. im späten 18. Jh. auch sehr kunstvoll gestickte Seidenbänder mit eingearbeiteten Metallfedern, die eine gewisse Elastizität gewährleisteten, ähnlich wie ein Gummiband.

Wo das Strumpfband gebunden wird - ob über oder unter dem Knie - wird in der Reenactmentszene immer wieder mal diskutiert. Die wenigen Abbildungen, die darüber Auskunft geben, zeigen ausschließlich Frauen, die das Strumpfband oberhalb des Knies binden. Das funktioniert aber bei den allermeisten Beinen nicht, da der Oberschenkel dicker ist als das Knie: Das Strumpfband würde rutschen. Ein Strumpfband knapp unterhalb des Knies ist logischer, weil hier eine Schmalstelle ist und das Band weder nach oben noch nach unten abhauen kann. Die IMHO plausibelste Erklärung für diesen Widerspruch ist, daß es sich bei den erwähnten Abbildungen (z.B. links) um Genrestücke mit erotischer Absicht handelt: Je mehr Bein zu sehen ist, desto prickelnder. Je höher das Strumpfband befestigt wird, desto höher darf der Künstler den Rock rutschen lassen.

Meine These fand ich bestätigt, als ich einen Bildband mit pornographischen Drucken des 18. Jh. durchblätterte (selbstverständlich aus rein wissenschaftlichem Interesse): Hier entfällt der Vorwand, den Rock möglichst hoch rutschen lassen zu dürfen, denn falls die Protagonisten mal nicht komplett nackt sind, ist die Kleidung so weit hochgerutscht, daß noch weitaus mehr zu sehen ist als nur der Strumpf. Die Zahl der über und unter dem Knie gebundenen Strumpfbänder hielt sich hier ungefähr die Waage, mit einer leichten Tendenz zu darunter.

 

 

Falls die obige Anleitung zu verworren war, kommst Du vielleicht mit Bettinas Anleitung besser klar.

*) Nadelbinden mindestens ab dem Frühmittelalter, in Ägypten sogar seit frühchristlicher Zeit; Stricken ab dem Hochmittelalter. Aus dem 16. Jh. sind kunstvolle Strickjacken erhalten.
**) Meyer's Enzyklopädisches Lexikon, 1974. (Beim Stricken läuft ein Faden waagerecht hin und her bzw. rundherum; beim wirken laufen mehrere Fäden senkrecht.)