Es wird oft danach gefragt, welche und wieviel Versteifung für welche Figur nötig ist. Da die Antwort von vielen Parametern abhängig ist, habe ich das Thema der Übersichtlichkeit halber aus den Schnürbrust-Anleitungen ausgelagert.
Bei der Wahl der Art und Menge der Versteifung ist es wichtig, zu verstehen, wie Schnürbrüste bzw. Korsetts "funktionieren". Ein häufiges Mißverständnis ist, daß das Kosett den Körper zusammendrücken kann wie ein Stück Schaumstoff. Das ist aber nicht möglich, weil der Körper, anders als Schaumstoff, nicht voller Luft ist, die man mal eben zusammen- oder gar herausdrücken kann: Er ist randvoll mit Knochen und Organen. Den Raum, den er einnimmt, braucht er auch, und zwar restlos. Wenn man also die Taille schmaler machen will, geht das nur, wenn man die Masse irgendwo anders hindrückt. Denk an einen Luftballon: Wenn Du ihn an einer Stelle zusammendrückst, wird er woanders breiter.
Bei einer dünnen Gestalt kann man nur die inneren Organe ein klein wenig verschieben, bevor die Knochen einen Riegel vorschieben. Bei einer dicken hingegen kann man den Speck sehr gut umverteilen, so daß ein Korsett in diesem Fall besonders viel Wirkung zeigt - wenn es richtig gemacht ist.
Jemand mit einer normalen Figur (also Konfektionsgröße 38-42 ohne Besonderheiten) sollte mit Schnürbrüsten keine Probleme haben; da reichen die in den Anleitungen angegebenen Faustregeln für Mengen und Stärken an Fischbeinersatz. Bei Konfektionsgrößen unter 38 sind Korsetts zwar weniger bequem zu tragen, weil die komprimierende Wirkung direkt auf die Knochen wirkt, aber die Fischbeinmenge ist ebenso leicht zu bestimmen: Soviel wie bei Normalgrößen oder etwas weniger.
Schwierig wird es bei Figuren, die aus der Norm herausfallen: Hohlkreuze, Sanduhrfiguren, Dicke und solche mit besonders viel Holz vor der Hüttn. Mit diesen beschäftigt sich der Rest dieses Artikels. Wer nicht mit einem oder mehreren dieser Probleme geschlagen ist, darf nun getrost wieder wegzappen.
Das Hauptproblem ist der Weitenunterschied zwischen Taille und Hüfte bzw. Taille und Hintern. Vorn sollte ein Korsett immer weitgehend flach sein - wobei ein wenig Bauch durchaus in Ordnung ist, im späten 19. Jh. auch etwas mehr. Das meiste davon verschwindet sowieso unter den Röcken. Aber hinten und/oder seitlich ergeben sich Problemzonen, die besondere Versteifung nötig machen.
Plastik allein reicht dann nicht, wenn der Weitenunterschied zwischen Taille und Hüfte ziemlich groß ist. Genau dort, in der Taille, fangen die Zaddeln an, und weil in jeder Zaddel nur 2-5 Stäbe (bei Variante vollsteif) drin sind, können sie einander nicht viel stützen. Wenn die Zaddeln sich nun durch den großen Weitenunterschied sehr stark aufpreizen müssen, kann es passieren, daß sie fast waagerecht wegstehen. Am Anfang ist das noch kein Problem, aber nach mehrmaligem Tragen ermüdet das Plastik an der Knickstelle so sehr, daß die Zaddeln sogar nach dem Ausziehen nach außen geknickt bleiben. Dann fängt es an, schmerzhaft zu werden. Zwischengezogene Stahlstäbe verhindern das, weil sie sich einfach nicht so leicht knicken lassen und kaum ermüden.
Faustregel: Je weniger leicht sich ein Knick in der Taille bildet, desto besser der Tragekomfort. Ein Stahlstab von 0,5 x 5 mm läßt sich weniger leicht knicken und ermüdet weniger schnell als ein Plastikstab von 1 x 5 mm, aber ein Stahlstab von 1x 5 mm hat noch mehr Federkraft, ohne mehr aufzutragen. Bei den folgenden Empfehlungen gehe ich davon aus, daß Plastikstäbe durch Stahlstäbe gleicher Dicke und Breite ersetzt werden.
Die besonders Gesegneten
in der Brustregion haben es unter den Sonderfiguren am leichtesten, sofern nicht zusätzlich eines der nachfolgenden Erschwernisse vorliegt. Bei vollversteiften Schnürbrüsten sind nur in extremen Fällen (z.B. BH-Größe 80D) Stahl- statt Plastikstäbe nötig: Dadurch, daß die Plastikstäbe dicht and dicht liegen, stützen sie sich gegenseitig. Bei halbsteifen Schnürbrüsten sollte es reichen, vorn ein paar Plastikstäbe mehr einzuziehen oder sie durch Stahl zu ersetzen. Für extreme Fälle sind halbsteife Schnürbrüste sowieso nicht geeignet, es sei denn als Probestücke.
Die Hohlkreuzfigur
zeichnet sich dadurch aus, daß der Weitenunterschied zwischen Taille und Hüfte großenteils hinten stattfindet. Dadurch ergibt sich hinten ein mehr oder minder scharfer Knick, der zu Materialermüdung führen kann. Also müssen hintenrum einige Stäbe, die bis in die Zaddeln führen, durch Stahl ersetzt werden. Vor allem aber sollte die Schnürung hinten etwa auf Taillenhöhe enden. Damit die Kante der hinteren Mitte nicht allzu stark geknickt wird, sollte zumindest der an der Kante liegende Stab und möglichst auch der zweite Stab (also der erste nach den Schnürösen) aus Stahl sein.
Die Sanduhrfigur
hat typischerweise obenrum eine kleinere Konfektionsgröße als untenrum; Hosen sitzen um die Hüfte eng und schlabbern in der Taille. In diesem Fall ist der Weitenunterschied zwischen Taille und Hüfte vor allem seitlich stark ausgeprägt, oft auch hinten. In solchen Fällen sollten einige Plastikstäbe, die bis in die Zaddeln führen, seitlich und hinten durch Stahl ersetzt werden. Je nach Ausprägung sollten das 1/3 bis 2/3 der Stäbe sein.
Dicke
haben im Grunde das gleiche Problem wie Sanduhrfiguren, nur aus einem anderen Grund: Der Speck in der Taillenregion wird durch die Schnürbrust nach unten weggedrückt, so daß sich auch hier ein großer Weitenunterschied zwischen Taille und Hüfte ergibt, mit genau den gleichen Problemen. Die Lösung ist ebenfalls die gleiche: Stahlstäbe einziehen. Daß der Bauchspeck, der ebenfalls nach unten gedrückt wird, unter der vorderen Korsettkante hervorquillt, damit muß man leben. Die Röcke verdecken das. Mit einer solchen Figur sollte man sich nur niemals in Schnürbrust ohne Chemise darunter zeigen. :-/
Bezugsquellen
Fischbeinersatz aus Plastik und Stahl gibt es z.B. von Wissner oder (in kleineren Mengen) von Korsett Wagner und Nehelenia (siehe Bezugsquellen). Finger weg von Rigilene und Spiralstäben! Beide sind fürs 18. Jh. viel zu labberig.