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Im Zusammenhang mit Fächern ist oft von der sogenannten Fächersprache die Rede. Fächer sollen ab dem 18. Jahrhundert verwendet worden sein, um bei gesellschaftlichen Zusammenkünften nonverbale Geheimbotschaften auszutauschen. Dabei werden mitunter regelrechte Wörterbücher zitiert, die einer Fächergeste (z.B. "Fächer geschlossen an die linke Wange gehalten") eine Aussage (z.B. "Ich liebe dich") zuordnen. Es soll sogar Kurse gegeben haben, in denen die Fächersprache gelehrt wurde; von einer Akademie in London ist die Rede.
Ich persönlich glaube nicht, daß es im 18. Jh. eine Fächersprache in der beschriebenen Art gab, d.h. mit solch detaillierten Aussagen, zumindest nicht in der allgemeinen Verbreitung, die regelmäßig behauptet wird. Die Gründe für meine Zweifel:
Tatsächlich listet ein Buch von 1757* verschiedene Gemütsbewegungen auf und nennt die zugehörigen Arten, einen Fächer zu halten. Dabei geht es aber eigentlich nur um die Deutung ganz normaler Körpersprache, die durch den Fächer betont wird, und wie der Fächer als Requisit der Balz eingesetzt werden kann (z.B. den Fächer fallen zu lassen, auf daß der Herr ihn aufhebe).
Man muß also wohl zuerst unterscheiden, was jeweils mit dem Wort "Fächerprache" gemeint ist: Definiert man Fächersprache als "Körpersprache mit Hilfsmittel" oder gar "Flirten mit Hilfsmittel" (=Fächersprache im weiteren Sinne), dann habe ich keine Zweifel, daß es sie gab, seit Fächer als Accessoire der Dame in Gebrauch waren.
Die direkte Zuordnung von Geste und Aussage (Fächersprache im engeren Sinne) hingegen scheint eine Erfindung des 19. Jahrhunderts zu sein, möglicherweise von Fächerherstellern (eben von Duvelleroy) als das in die Welt gesetzt, was man heute einen Marketing-Gag nennen würde. Als solcher ist die Legende von der Fächersprache erschreckend erfolgreich.
Da Google Books mittlerweile eine ganze Menge durchsuchbarer Bücher enthält, habe ich mich dort einmal auf die Suche nach der ältesten Quelle gemacht. Wer sie nachvollziehen will: http://books.google.com und Suche nach "Fächersprache" absetzen. Hier ein Auszug der interessantesten Funde:
J., T., A. und D., Versuch einer Menschenlehre, sich selbst und andere Leute
kennen zu lernen: dargestellt in einer Reihe historisch-moralisch-satyrischer
Gespräche zur Belehrung und Unterhaltung, Band 2, 1802 (2. Aufl.)
Die erste Auflage wurde laut OPAC-Verbund 1790 in Kempten bei Kösel verlegt,
siehe z.B. Katalog der Unibibliothek Augsburg. Zitat (S. 53f):
"Nun, fiel ihr die schnappige Frau von Tadelhofen in die Rede : ich
gratulire, Ihr Herr Sohn ist sehr galant und geschickt auf der Universität
geworden. 'Ja versetzte die Mama, aber es hat Geld gekostet. Ich habe es in
seinem Konto gefunden, daß er der Fächermacherinn für fünfmonatliche
Lehre 8 Louisdors bezahlt , ohne was er ihr extra für die Zubehörde
ausgelegt hat. Und, was wird ihn wohl die Fächersprache, die er auch bey
ihr gelernt hatte, gekostet haben ? Von dieser finde ich nichtn im Konto, und
er sagt doch, daß er auf sie viel Geld verwendet habe. Ich wollte sie
von ihm reden hören. Er gab mir aber zu verstehen, daß ich solche
zu fassen, oder lernen zu können zu alt wäre, indem es es eine Gedankensprache
sey, und das verstände ich nicht.' Bilden Sie sich ein, wie in der
Gesellschaft die jungen Leute, welche die Fächersprache verstehen, gelacht
haben; und die gute Mama lachte auch mit. ' "
Es geht hier um einen jungen Stutzer. Interessant ist, daß er (a) tatsächlich gewissermaßen einen Kurs in Fächersprache belegt hat und daß er (b) die Mutter gewissermaßen von der Kenntnis derselben ausschließt. Somit könnte es sich um eine "Geheimsprache" der jungen Leute gehandelt haben, in die die Elterngeneration nicht eingeweiht war - also nichts allgemeingültiges, sondern den Code einer Subkultur. Wenn aber die Elterngeneration die Fächersprache nicht versteht, dann muß sie zur Jugendzeit der Eltern (1790 minus 20-30 Jahre) so noch nicht existiert haben.
Damit verlassen wir schon den Bereich der zeitgenössischen Quellen, den auch die obige nur um ganze zehn Jahre streift.
Krünitz, Oekonomische Encyklopädie oder allgemeines System der
Staats- Stadt- Haus- und Landwirthschaft, 1832, S. 629
"...und wenn die Türken ihre Blumensprache haben, so hatten
die Europäerinnen ihre Fächersprache, die oft beredter war, als Auge
und Mund."
Ferdinand Augustin (Freiherr von), Reise nach Malta und in das südliche
Spanien im Jahre 1830, 1839, S. 45
"So wie im Oriente über die Blumensprache, könnte man in
Andalusien ganz füglich über die Fächersprache schreiben."
Baron Vaerst (Friedrich Christian Eugen), Die Pyrenäen: Band 1, 1847,
S. 76
"...erinnern auch, wie so Vieles, an den Orient, an die verschleierten
Frauen der Muhamedaner, und was bei diesen die Blumensprache ist,
das ist bei der Spanierin die Fächersprache. Aus der Art und Weise, wie
sie den Fächer auf- und zumacht, sich Kühlung zufächelt und ihn
in steter Bewegung zu halten weiß, liest der Freund eben so viel, als
aus einem vier Seiten langen Liebesbriefe."
Man beachte die Ähnlichkeit der beiden vorigen Texte mit dem Krünitz-Text darüber, sowie die Einschränkung auf Andalusien bzw. Spanien. Diese ist insofern interessant, als daß ziemlich viele Suchergebnisse der Zeit zwischen ca. 1830 und 1890 von Spanien handeln, seien es Reiseberichte oder Belletristik. Das paßt zu einer Spanienmode dieser Zeit - man denke an Lola Montez, Stierkampfbilder von Manet oder Bizets Oper "Carmen." So heißt es denn auch in einem Artikel über eine Fächerausstellung:
Dekorative Kunst, Band 14, F. Bruckmann, 1906
"Der Ehrgeiz der Kaiserin Eugenie**, der holden Grazie, die am Hofe
ihrer königlichen Vorgängerinnen geherrscht hatte, eine würdige
Folge zu geben, ging so weit, die Fächersprache wieder zu beleben."
Der Neuigkeitsbote, Jahrgang 4, Nummer 27
"Sie tragen nicht bloß deshalb einen Fächer, damit sie
sich Kühlung zufächeln können, wenn ihnen heiß wird: sie
bedienen sich des Fächers auch in andern wichtigeren Fällen. Hermine
laßt dort ihren Fächer fallen. Warum läßt sie ihn fallen?
Damit der junge Mann, der von ihren Reizen gefesselt ist, den Fächer aufheben
und ein Gespräch mit ihr anknüpfen könne. Wie die Damen in allen
Fächern ausgezeichnet erscheinen, so sind sie auch in diesen Fächern
ausgezeichnet. Sie können sich durch ihre Fächer eben so gut, wie
durch ihre Sprache, verständlich machen. Was sich die Zunge nicht erlauben
darf, das wagt der Fächer. Wohl dem Manne, der diese Fächersprache
kennen gelernt hat, er wird dann manchen Wink verstehen und sich nach ihm zu
richten wissen."
Obiger Text behandelt offenbar Fächersprache im weiteren Sinne: Als durch ein Accessoire verstärkte Gebärden und Instrument der Balz.
Rudolf Kleinpaul, Das Leben der Sprache und ihre Weltstellung: Band 1, 1893,
S. 322f
"Ein Spassvogel in England schlug vor einigen Jahren vor, eine Akademie
zu gründen, auf welcher junge Mädchen im Gebrauch des Fächers
unterrichtet werden sollten. [...] Es gehörte ein Semester dazu, wenn es
eine in diesen sechs Bewegungen zur Perfektion bringen wollte. "
"Das Land, wo die neuentdeckte Sprache wirklich gesprochen wird, ist Spanien."
Dies ist die einzige (vor 1900) Erwähnung einer "Akademie" für Fächersprache, die in der jüngeren Sekundärliteratur des öfteren angeführt wird. Ob dies die ursprüngliche Quelle für diese Behauptung ist? Spaßvogel, ein Semester für gerade mal sechs Bewegungen (z.B. "Ablegen des Fächers" und "Aufnehmen des Fächers")... das klingt eher nach Satire. Auch Kleinpaul führt keine Quelle an.
Anderweitig, aber mir fällt gerade nicht ein, wo, fand ich einen Hinweis auf eine Fächerakademie in London in der Zeit um 1800/1810, auf die Kleinpaul sich möglchwerweise bezieht, zumal auch dort von einem Semester bzw. einem halben Jahr für das Erlernen der Grundlagen die Rede war. Nun ist eine Suche auf Englisch schwieriger, weil das Wort "fan" soviele andere Bedeutungen haben kann. Mit "language of the fan" fand ich einige verstreute Hinweise, die zusammengenommen endlich zu dem führten, was ich für den Ursprung der Fächerakademie-Geschichte halte: Einen Leserbief an die Zeitschrift "The Spectator" vom 27. Juni 1711. Soviel zu Kleinpauls "vor einigen Jahren"!
Der Herausgeber des Spectators schreibt im kurzen Vorwort: "I do not know
whether to call the following letter a satire upon coquettes, or a representation
of their several fantastical accomplishments, or what other title to give it,[...]"
Er hält es also auch für möglich, daß da jemand einen Scherz
macht. Kein Wunder bei Sätzen wie "When my female regiment is drawn
up in array, with every one her weapon in her hand [...]"
Der Brief ist recht lang, weshalb ich ihn hierher
auslagere. Das Original findet sich bei google books mit der Suche "spectator
june 1711 fan". Die Ähnlichkeit mit dem Kleinpaul-Text (auch
ausgelagert) ist so groß, daß dies seine Quelle gewesen sein
muß, wenn auch vielleicht indirekt. Auch im Spectator geht es nicht um
Fächersprache im engeren Sinne.
Aus dem 18. Jh. selbst haben wir nun drei Quellen für eine Fächersprache. Einer (Specator) kann als Hinweis für die Existenz einer Fächerakademie in London gelten, sofern es sich nicht um Satire handelt, was äußerst wahrscheinlich ist. Von einer genau definierten Zuordnung von Geste und Aussage, wie sie oft behauptet wird, ist nicht die Rede. Möglicherweise gab es um 1780-1790 herum eine Fächersprache im engeren Sinne als Teil jugendlicher Subkultur, aber das rechtfertigt noch keine Aussagen, die implizieren, daß es im (ganzen) 18. Jahrhundert eine allgemeine (d.h. von der ganzen Gesellschaft verwendete) Fächersprache im engeren Sinne gab.
Auffallend unter den Suchergebnissen ist eine Häufung von Spanien-Bezügen um 1830-1850 und z.T. noch danach. Es scheint, daß sich in Spanien eine Art Fächersprache entwickelt hat, über deren zeitliche Einordnung und Inhalte wir aber nichts erfahren. Man kann aber getrost annehmen, daß es sich um eine regionale Spezialität handelte. Die oben erwähnte Spanienmode und der Einfluß der Kaiserin Eugénie, die unbestitten modische Meinungsführerin im Frankreich des mittleren 19. Jh. war, könnten dazu geführt haben, daß spätere Autoren die Bedeutung der Fächersprache für das 18. Jh. übertrieben, weil sie ihre zeitgenössischen Kenntnisse über eine Fächersprache im engeren Sinne (durch Berichte aus Spanien, die weiter oben erwähnte Broschüre von Duvelleroy, zeitgenössische "romantische" Moden) auf die Fächersprache des 18. Jh. (nämlich die im weiteren Sinne, die die einzige für das 18. Jh. belegte ist) projizierten. Noch spätere Autoren, die dies wiederum abschreiben, können dann kaum noch unterscheiden, welche Fächersprache denn nun gemeint ist.
*) Le Livre de quatre couleurs. Chapitre premier. Des differentes manières
de se servir de l'eventail. Paris: Duchesne, 1757 (bei google books vorhanden)
**) Eugénie de Montijo (1826-1920), die spanischstämmige Kaiserin
Frankreichs (1853-1870), Kundin und Mäzenin von Charles Frederick Worth
und modische Meinungsführerin ihrer Zeit